Metamorphose vom guten ( Aus-) Sehen

August 26, 2021 1 Von Stahlhuth

Ungefähr seit meinem fünfzehnten Lebensjahr trage ich eine Brille, und so verwundert es nicht, dass schon viele, viele unterschiedliche Gestelle auf meinem Nasenrücken Platz fanden, leider nicht immer zu meinem optischen Vorteil, wie alte Fotos deutlich zeigen.

Meine erste Brille war ein silbernes Nickelgestell, ein wenig John Lennon und ein bisschen Heide Rosendahl. So etwas trug man Anfang der siebziger Jahre, und ich fand mich damit absolut unwiderstehlich. Das war natürlich höchst subjektiv, denn mit Zahnspange im Mund und einer bunten Mischung von Pickeln auf der Stirn konnte auch die Brille nichts mehr reißen, eher im Gegenteil!

Danach wechselte ich zu einer Kunststofffassung in blau mit Gläsern, die sich der Helligkeit anpassten. Das war der ultimativ letzte Schrei, und es störte mich deshalb auch gar nicht, dass das wuchtige Teil fast die Hälfte meines Gesichts verdeckte. Es existiert noch ein Bild aus dieser Zeit, was mich in einem luftig leichten Chiffonkleidchen mit pastellfarbenem Muster zeigt – und dazu dann dieser optische Koloss mitten im Gesicht. Wie konnte ich mich nur dermaßen entstellen? Heute würde man vielleicht von „mixed style“ sprechen, was aber nichts daran ändert, dass ich einfach schlimm damit aussah.

Später trug ich eine Zeitlang die alte, recht kleine Brille meines Großvaters, die ich mit Gläsern in meiner Stärke bestücken ließ. Außer der nostalgischen Note war das aber auch kein wirkliches Highlight.

Es folgte dann noch eine runde, poppige Brille im schwarzweißen Zebralook, angelehnt an die Kollektion von Elton John und eigentlich eher ein Accessoire für Faschingszeiten. Ich fand mich mondän und stylisch, alle anderen wohl eher albern…

Erinnern kann ich mich auch noch an eine Fassung, die man mit wenigen Handgriffen farblich verändern konnte. Ein tolles Teil, wie gemacht für mich, konnte ich sie doch immer meinem jeweiligen Outfit anpassen. Bedauerlicherweise hielt die Freude daran nicht lange. Eines Tages fiel sie mir vor den Rasenmäher und wurde zerschreddert. Nachbestellung unmöglich!

 

Nun war ich unlängst mal wieder beim Optiker und habe einen Sehtest machen lassen. Wie ich nämlich schon vermutet hatte, haben sich meine Werte leicht verändert.

Natürlich ist das per se nicht schön, altersbedingt aber wohl unvermeidlich, und so ganz nebenbei eröffnet es mir die Chance auf eine neue Brille, wofür ich ja immer zu haben bin.

Neben meiner nicht gerade kleinen Schuhkollektion habe ich nämlich über die Jahre auch eine recht beachtliche Auswahl an Brillen angesammelt. Meine Sehstärke ist relativ stabil geblieben, und so konnte ich immer mal wieder ein neues Modell ergänzen. Aktuell verfüge ich also über eine Kollektion von fünf Modellen, die sich folgendermaßen zusammensetzt:

Die rote Brille. Sportlich, schlicht und allein durch ihre Farbe ein Hingucker.

Das hellblaue Metallicgestell passt perfekt zu meinen Augen, und wie sagt man doch so schön: „kann man gut zu `ner Jeans tragen“. Allerdings stimmt da die Stärke nicht mehr ganz, lesen wird ein bisschen schwierig. Ersatz wäre von Nöten.

Dann ist da noch die braune Hornbrille. Ich gebe zu, dieser Kauf war nur der Farbe geschuldet. Das ganze Teil ist eigentlich zu wuchtig in meinem Gesicht und ein wenig schwer auf dem Näschen. Auch da könnte eine andere Fassung durchaus von Vorteil sein.

Ganz anders die randlose Brille mit den goldenen Bügeln. Sie ist zeitlos und kommt bei eleganten Auftritten zum Einsatz. Da besticht sie durch ihre vornehme Zurückhaltung, ist dezent, formschön und hat den gewissen Hauch von Luxus.

Für offizielle Anlässe, amtliche Termine, schwierige Gespräche oder Beerdigungen wähle ich das schwarze Gestell. Ich komme da seriös und auch etwas distanziert rüber, meine ich zumindest.

 

Man erkennt, dass meine verschiedenen Brillen nicht nur mit meinen unterschiedlichen Outfits harmonieren, sie sind eben auch immer ein gewisses Statement und Ausdruck meiner persönlichen Verfassung.

 

Nun gibt es aber auch Zeiten – jeder kennt das – da passt einem alles nicht. Wetter, Befindlichkeit, Weltlage, Mitmenschen, Umwelt, Politik usw.

Alles ist blöd, nichts läuft so wie es soll und natürlich passt dann auch keine meiner Brillen. Was also tun in solchen Fällen?

Da hilft nur noch eines, der Griff zu meiner Wunderwaffe:

Ich setzte meine Rosarote Brille auf!

Durch sie sieht die Welt gleich etwas schöner und freundlicher aus. Wer oder was mich ärgert, ist unscharf und weich gezeichnet, und was schön und gut ist, wird größer, schärfer und klarer.

Von all meinen Brillen ist sie mir eigentlich die Liebste. Ich hüte sie wie einen Schatz und achte sehr darauf, sie im Falle eines Falles immer zur Hand bzw. auf der Nase zu haben.