Später Frühling
Es ist Frühling, und keiner soll sagen, daß man das jenseits der Midlifegrenze nichts mehr merken würde. Natürlich äußert sich das heute ein bißchen anders als noch vor 30 Jahren, aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Frühling ist auch jetzt nicht ungefählich, da tut sich was im reifen Körper einer lebenserfahrenen Frau!
In diesem Jahr war es besonders heftig, weil das indifferente farb- und temperaturlose Wetter so gar nicht enden wollte und sich in mir schon ein wahrer Frühlingsgefühlsstau angesammelt hatte. Wohin nur mit all den rosaroten, beschwingten, süßen und flirrenden Emotionen, wenn um einen herum alles nur fahl, blaß, langweilig, grau, stumpf und öde ist?
Sammeln, speichern, konservieren und auf bessere Zeiten warten, das war mein Motto seit Wochen. Aber jetzt, wo es endlich ein bißchen wärmer wird und die Sonne an Kraft und Ausdauer zulegt, wo es allenthalben grünt, blüht und alle Pollen gleichzeitig die Luft schwängern, jetzt gibt es auch bei mir kein halten mehr. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, alles in mir treibt, knospt, kribbelt und „sehnsucht“ herum.
Gleichzeitig möchte ich Fenster putzen, Gardinen waschen, Schals, Handschuhe und Wollmützen einmotten und den Strohhut an die Garderobe hängen. Graue Pullis gegen gestreifte Blusen tauschen, leichte Kleider satt dicker Hosen tragen und unbedingt jeden Tag eine andere bunte Brille aufsetzen. Ich möchte Fahrrad fahren, im Auto die Scheiben unten lassen, Musik hören und an der Ampel flirten. Ich möchte keine Strümpfe tragen und mit frisch lackierten Fußnägeln schicke Sandalen anprobieren, mit meiner Freundin im Straßencafe sitzen und über andere Leute lästern, möchte kistenweise bunte Blumen in meinen Garten setzen, meinen Zaun neu streichen, getupfte Bettwäsche aufziehen und dabei laut schnulzige alte Schlager singen.
Ich möchte eine Tasse Leichtsinn trinken, mir den Staub von der Seele schütteln, riesige Luftschlösser bauen, mit dem Springseil springen, mal wieder Roller fahren und Seifenblasen in der Sonne tanzen lassen.
Ja, und dann möchte ich Eis essen, alle Fenster aufmachen und zuschauen, wie der warme Wind meine Gardinen zu weißen Segeln werden läßt, ich möchte 25 verschiedene Sonnenbrillen aufprobieren und doch keine kaufen, möchte spontan Freunde einladen und alte Schallplatten hören, meinen erstaunten Mann in der Küche verführen, und vor allem möchte ich eine neue Frisur.
Ich möchte auf meinen Gefühlswellen surfen, alles ein bißchen entspannter sehen, in schönen Gedanken ein Vollbad nehmen und mir einen Spaß daraus machen, wildfremden Menschen ein Lächeln zu schenken.
Meinem lieben Mann ist dererlei Gefühlscocktail ziemlich fremd und eine „happy hour“ davon, wie ich sie im Frühling durchlebe, vielleicht sogar auch ein bißchen unheimlich. Nun ist er von Natur aus diesbezüglich ohnehin etwas bescheidener ausgestattet. Er verkörpert da eher den beständigen Fels in der Brandung, und der ist ja bekanntlich jahreszeitenunabhängig.
Gestern morgen z.B., da habe ich ihm, er stand gerade so einladend am Waschbecken, einen weißen Klecks Creme auf die Nasenspitze getupft und frei nach dem Motto ‚Punkt, Punkt, Komma, Strich’ gleich noch zwei weitere auf die Wangen und einen aufs Kinn. Ich fand, er sah damit ziemlich süüüüß aus, eigentlich unwiderstehlich.
Mein Fels sah das offensichtlich etwas anders und war verstört. Er reagierte zögerlich, man möchte fast sagen ablehnend. Eine derartige Unterbrechung seiner Morgentoilette ist nicht vorgesehen und schon von daher als direkter Angriff auf seine Intimshpäre einzustufen. Er zog also die Augenbrauen hoch, schaute mich mit diesem mitleidig zweifelnden Blick an, den Ehemänner immer dann aufsetzen, wenn ihnen die Situation suspekt vorkommt und knurrte etwas wie: „Bist du sicher, dass dir nichts fehlt?“. Sprachs, verteilte die Creme mit spitzen Fingern im Gesicht und wandte sich dann demonstrativ den wirklich elementaren Dingen des Lebens zu, indem er sich mit der FAZ zu einer wichtigen „Sitzung“ zurückzog.
Von solchen kleinen Rückschlägen lasse ich mich natürlich nicht entmutigen, im Gegenteil, sie spornen mich förmlich an, und so schnappte ich mir schnell einen Lippenstift und schrieb schwungvoll und in roter Farbe das aktuelle Mittagsmenue auf den Garderobenspiegel.
Tagesempfehlung heute:
„Erdbeermund küsst Spargelspitzen“…
Als mein Mann später auf dem Weg von seiner Sitzung zum Schreibtisch kopfschüttelnd vor dem so verzierten Spiegel stehenblieb, erklärte ich ihm kurzer Hand: „aber Schatz, das hast du dir doch immer gewünscht!“
Und damit meine ich natürlich nicht nur das Essen…
Herrlich, ich kann mir das bei Dir / Euch gut vorstellen und an manchen Stellen denk ich: das will ich auch und das und das……Schön das Du so schreibst wie Du bist.. – Bitte weiter so!