Fox oder das Wunder von Spanien

Juni 15, 2016 0 Von Stahlhuth

Natürlich hatte ich mich auf diese Reise gründlich vorbereitet, aber dennoch war ich hyper- nervös und schrecklich aufgeregt.
Unser Flieger von Berlin ging gegen Mittag, die beiden Nächte davor hatte ich schon kaum geschlafen und meine latente Flugangast erschien mir nun geradezu nichtig gegenüber dem Lampenfieber, das ich hatte, wenn ich auch nur daran dachte schon in wenigen Stunden meinem „Enkelhund“ leibhaftig gegenüber zu stehen. Selbst die Vorfreude auf meinen Goldsohn trat da ein wenig in den Hintergrund. Das wurde mir allerdings kaum bewußt, war doch mein ganzes Denken und Fühlen schon seit Tagen und Wochen von diesem unbekannten Welpen beherrscht.
Würden wir uns mögen? Und was wenn nicht?
Wären dann alle meine Vorbereitungen und mentalen Anstrengungen umsonst gewesen?
Der Flug nach Malaga dauert 3 1/2 Stunden, also Zeit genug sich noch einmal viele, viele Gedanken zu machen:

-Wie ist das bei einem Hund, entscheidet da auch der erste Eindruck?
-Vielleicht mag er mein Parfüm nicht und kann mich im wahrsten Sinne der Wortes nicht
riechen?
-Hat so ein Tier auch mal schlechte Laune?
-Stimmt es wirklich, dass Hunde riechen, wenn man Angst vor ihnen hat?
-Können Hunde denken?
-„Spricht“ der überhaupt deutsch?
-Empfinden Hunde Sympathie oder Antipathie zu Menschen, die sie nicht kennen?
(also ich habe da überhaupt kein Problem jemanden super toll oder sterbensdoof zu finden,
obgleich ich die Person überhaupt nicht kenne. Ist nicht ok, ich weiß, aber eben menschlich)
-Stimmt es, dass es völlig egal ist, was man zu einem Hund sagt, Hauptsache es klingt
freundlich? Also wenn ich freundlich säusele „du stinkige alte Zeckenjule“, klingt das in Hundeohren genauso, wie wenn ich im gleichen Tonfall sage „hallo Wollbäckchen“?
-Mag ein Hund alle, die zur Familie seines Herrchens gehören? Stichwort Sippenliebe?
-Können Hunde lachen, küssen, schmollen, albern oder traurig sein?
-Wie hustet ein Hund?
-Sind Welpen bestechlich, ich meine so mit Spielzeug oder Leckerlies?
-Träumen Hunde und wenn, wovon?

Mit diesem „Übergewicht“ an ungelösten Fragen landen wir also in Malaga. Es ist strahlendes Wetter, und ein Hauch von Abenteuer liegt in der Luft.
Mit achtundfünfzig Jahren bewege ich mich nämlich nun zu meinem ersten ‚blind date‘ und zwar mit einem Hund. Das ist in der Tat etwas außergewöhnlich!
Und was soll ich sagen? Unser erstes Zusammentreffen findet in einem kleinen andalusischen Dorf im hügeligen Hinterland von Marbella statt. Auf einer abschüssigen Straße, zwischen parkenden Autos, vor weiß verputzten Häuserfassaden und herrlichen Orangenbäumen umtänzelt und besabbert mich dieses kleine Tier, als hätte es voll Sehnsucht sein ganzes kurzes Leben lang nur allein auf diesen Augenblick gewartet. Da bedarf es keines Bellens und keines Gekläffs, lautlos umgibt mich in Sekundenschnelle eine unausgesprochene Zuneigung, die keinerlei Worte oder Laute bedarf. Überwältigt von soviel tierischer Freude vergesse ich dabei vor Schreck jede Scheu und sogar auch beinahe meinen Sohn zu begrüßen. Ich, die solange man denken kann, zu jeden Hund einen hermetischen Sicherheitsabstand eingehalten hat, streichle plötzlich diesen Welpen und damit nicht genug, kaum ist eine Stunde vergangen, hab ich ihn auch schon ganz selbstverständlich auf dem Arm und finde es total süß, wenn er dabei seine feuchte Schnauze an meine Schulter legt. Was um Himmes Willen ist da passiert?
Wie ein Naturwunder gigantischen Ausmaßes hat mich diese Tierliebe überrollt, ohne dass ich auch nur irgend etwas hätte dagegen tun können. Hilflos bin ich dem Hundecharme dieses Welpen erlegen und kann kaum glauben, was da mit mir geschieht.
Schnell machen wir ein paar Photos zum Beweis, denn ich habe das ganz starke Gefühl, am nächsten Tag aus einem Traum zu erwachen, und nichts von all dem ist dann noch wahr.
Dem ist erstaunlicherweise nicht so. Auch am anderen Morgen sind Fox, mein kleiner Enkelhund, und ich noch immer ein Herz und eine Seele. Heute dürfen wir sogar – ohne Herrchen – nach Marbella fahren und dort ein wenig die Altstadt erkunden. Wieder ein Abenteuer, denn noch nie war ich mit einem Hund unterwegs. Zum Glück ist meine Tochter dabei, man weiß ja nie, wie beständig so eine junge Hundeliebe ist, und überhaupt ist es ja immer besser, man teilt sich eventuelle Katastrophen.
Marbellas Altstadt ist malerisch und hübsch. Es gibt viele nette Geschäfte, Restaurants, Cafes und enge Gässchen, durch die auch um diese Jahreszeit schon viele Touristen bummeln. Voll geliehenem Besitzerstolz habe ich Fox an der Leine und fühle mich damit, und nicht zu vergessen mit meiner neu erstandenen Sonnenbrille, eigentlich schon unheimlich exclusiv. Doch kaum sind wir ein Weilchen unterwegs, nimmt dieses Gefühl schon absoluteVIP Züge an. Man zeigt auf uns, man tuschelt, und alle paar Meter werden wir angehalten und angesprochen.

„Was ist das für ein süßer Hund?“
„Wie alt ist der denn?“
„Welche Rasse ist das?“
„Gab es da nicht einen Film mit Richard Gere, indem auch so ein Hund mitgespielt hat?“
„Darf man den streicheln?“
„Verkaufen sie den?“
„Kann ich ein Photo von ihm machen?“
„Möchten Sie nicht in unserem Lokal essen, der Hund bekommst selbstverständlich auch etwas?“
„Wie groß wird der?“

Es ist unbeschreiblich, und noch nie habe ich in so kurzer Zeit so viele verschiedene Menschen kennen gelernt. Nach einer halben Stunde überlege ich schon fast ernsthaft ein Geschäft aus der Sache zu machen. Für jede Auskunft einen Euro, und der überteuerte Cappuccino an der Strandpromenade wäre locker wieder raus. Aber unser kleiner Hauptdarsteller ist dann doch ein bisschen müde, und so ziehen wir uns für ein paar private Photos ans Wasser zurück.
Das muss man sich mal vorstellen: blaues Meer, Marbella im Hintergrund, Strand, Sonne, vorbeiziehende Schiffe und imVordergrund, malerisch auf einer Klippe sitzend, ich mit dem Hund auf meinem Schoß. Wenn ich das Photo per Whatsapp nach Hause schicke, denken alle, ich hätte einen Kurs für Bildbearbeitung bei der VHS besucht, aber keiner wird glauben, daß das stimmt, was er da sieht. Ich glaubs ja selbst kaum.
Um diese Jahreszeit, es ist jetzt Anfang April, ist es in Andalusien zwar sonnig und warm, aber die Abende und Nächte können doch noch verdammt kalt sein. Da ist man dann schon froh, wenn man einen warmen Pullover dabei hat und wenn nicht…
Aus eigener glücklicher Erfahrung kann ich nun berichten, dass ja nichts so nachhaltig und beruhigend wärmt wie ein kleiner Hund, der einem abends auf den Schoß springt, sich an einen kuschelt und darauf wartet gekrault zu werden. Ja, da möchte man sich gar nicht mehr vom Sofa erheben, um ins Bett zu gehen.
Würde mich ein Maler in dieser Pose portraitieren, müßte das Bild „ streichelndes Hundeglück“ heißen, und ich würde ihm ungefragt freiwillig stunden- und tagelang Modell sitzen….
Vielleicht sollte das Bild aber treffender den Titel: „Fox und das Wunder von Spanien“ tragen. Das klänge dann irgendwie bessser und würde dem Magischen dieser unglaublichen Geschichte wenigstens ein bißchen gerecht werden.

Einige Monate später zurück in Deutschland:
Natürlich hat uns kein Meister gemalt, und mein Enkelhund ist jetzt weit weg im fernen Spanien, aber auf meinem Schreibtisch steht ein Photo, und das zeigt uns beide auf einer Klippe sitzend am Strand von Marbella, blaues Meer, Strand, Sonne, vorbeiziehende Schiffe und Fox auf meinem Schoß!
Und immer wenn ich es anschaue, weiß ich „ das Wunder von Spanien“ hat es wirklich gegeben!