Unsere Urlaubsfamilie und wir
Man mag es eigentlich nicht öffentlich zugeben, zu peinlich ist die Tatsache, dass wir nun schon seit über 25 Jahren unseren Urlaub in Österreich, am gleichen Ort, im gleichen Hotel und dann auch noch in Kärnten verbringen. Spießiger gehts ja kaum noch!!!
Und doch ist das, was wir zu Beginn noch unvorstellbar langweilig, phantasielos und kleinbürgerlich fanden, im Laufe der Zeit zu einem festen Bestandteil unserer Jahresplanung geworden. Sollte man uns eines Tages überraschend die Möglichkeit nehmen dorthin zu fahren, wir wären im höchsten Maße verunsichert.
Man kennt sich dort mittlerweile, mindestens vom Ansehen her. Denn auch nach 25 Jahren gehören wir nicht zu der Art von Urlaubern, die jedes Mal mit x neuen Duzfreunden nach Hause kommen müssen. Uns reicht in der Regel die Bekanntschaft aus sicherer Distanz.
Außerdem ist es doch viel spannender zu spekulieren, wer was macht im zivilen Leben, wer mit wem in welcher verwandschaftlichen oder sonstigen Beziehung steht und weshalb der eine oder andere in diesem Jahr ‚unentschuldigt‘ fehlt.
Damit man sich über solche elementar wichtigen Dinge ungestört austauschen kann, haben wir unsere „Urlaubsfamilie“ im Laufe der Zeit mit den unterschiedlichsten Namen versehen.
So weiß z. B. jeder sofort wer gemeint ist, wenn wir von Familie „Kuh“ reden. Dieser Mehrgenerationenclan zeichnet sich durch eine auffallende Ähnlichkeit zu eben diesen Tieren aus. Der kräftige Körperbau, dünne Beine auf massigem Korpus, und die dadurch etwas unbeholfenen Bewegungen lassen eigentlich gar keinen anderen Namen zu, und so ist es wenig verwunderlich, dass das riesige aufblasbare Wassertier dieser Familie ebenfalls eine knallgrüne Kuh ist.
Familie Kuh ist freundlich, sehr freundlich sogar, aber eben etwas dickfellig und plump, wie diese Tiere halt so sind. Ihre Kinder (jedes Jahr kommt eines dazu) tragen sie ständig mit sich herum, so dass der Schluss nahe liegt, sie könnten vielleicht eine Beinkrankheit haben. An der Ernährung kann es dabei nicht liegen, denn die Familie isst unentwegt. Morgens, mittags, abends räumen sie munter das Büfett ab, und weil das offenbar nicht reicht, werden auch zwischendurch munter Eis, Kuchen, Kekse usw. verzehrt.
Und so sieht man sie ständig rhythmisch vor sich hinkauend von hier nach da trotten, meist vom Kiosk zum Liegestuhl und manchmal sogar ins Wasser.
Eine ganz alte Bekannte ist auch „Geierwally“. Geierwally kann im normalen Leben eigentlich nicht anders heißen, denn sie sieht aus, wie nur Geierwally aussehen kann.
Von Statur her eher ein hageres Gestell mit einer sehr markanten Hakennase im Gesicht. Das Ganze ist umrahmt von einem Haargebilde, das so fixiert ist, dass man es am Ende des Tages problemlos zum Reinigen eines Grills benützen könnte. Wir haben uns schon oft gefragt, wie diese Frisur wohl nach der Berührung mit Wasser aussehen könnte? Aber, keine Chance! Geierwally trägt ihren Kopf wie eine Boje durch die Fluten. Nicht ein Tröpfchen hat auch nur die Gelegenheit daran abzuprallen.
Geierwallys Mann ist unauffällig, völlig farblos und im Laufe der Jahre immer mehr in sich zusammengeschnurrt. Mittlerweile sieht er recht schwächlich aus, wenn er so im Schatten der herausragenden Nase und unerschütterlichen Haarpracht seiner Angetrauten daher stolpert. Mit der Zeit haben sich zu Geierwally und ihrem Mann auch noch Tochter, Schwiegersohn sowie drei Enkelsöhne gesellt. Diese Konstellation ist nicht unüblich hier, pflegt man doch die Kunst des Generationenurlaubs und perfektioniert sie von Jahr zu Jahr und von Enkelkind zu Enkelkind.
Ebenfalls seit Jahr und Tag mit uns am gleichen Urlaubsort sind der
„Altjogger“ und die „Kröte“. Bei diesem Paar zeigt sich schon in der Namensgebung eine gewisse Gleichberechtigung. Der „Altjogger“ drehte in den Anfangsjahren mit meinem Gatten morgendliche Runden um den See. Inzwischen sind beide in die Jahre gekommen, haben eine oder mehrere Menisken eingebüßt und schwelgen sportlich in den goldenen Zeiten, wo noch nichts weh tat und man locker und elastisch jeden Anstieg nahm. „Kröte“, die Frau an seiner Seite, heißt nicht nur so, sie sieht auch so aus. Man möchte ihr statt eines Sonnenschirms lieber ein feuchtes Mooseckchen anbieten, das sähe artgerechter aus.
„Altjogger“ und „Kröte“ sonnen sich immer im separaten Fkk-Bereich des Hotels, und in diesem Fall bedaure ich es nicht, als Angezogener dort keinen Zutritt zu haben. Wie heißt es doch so schön:
„Too much information“
Eindeutig ‘more information’ hätten wir allerdings gerne über den “Schriftsteller” und seine Frau. Dieses Paar begleitet uns seit den Anfängen hier und schon damals sah er alt, drahtig und sehr intellektuell aus. Der „Schriftsteller“, der stets mit Sakko, Hemd und Halstüchlein zum Abendessen kam, freundlich grüßte und danach in ein intellektuelles Schweigen mit seiner stillen Gattin verfiel, fehlt dieses Jahr ohne Angabe von Gründen.
Das beunruhigt uns. Sollte er einen Sportunfall gehabt haben ?
Noch im letzten Jahr sah man ihn morgens, in respekteinflößendem Aufzug, auf seinem Rennrad die Hotelanlage verlassen, während er am Nachmittag wie Jean Cousteau mit Flossen, Taucherbrille, Schnorchel und Schwimmbrett in die Fluten stieg. Ein Vorgang, dessen Vorbereitung länger dauerte als die eigentliche Ausführung.
Der Weg ist eben das Ziel, auch bei einer Schwimmrunde im See.
Seinen zwar deutlich in die Jahre gekommenen, aber immer noch schlanken und gebräunten Körper pflegte er anschließend auf dem Steg zu trocknen. Notizbuch und Stift immer dabei. Ein richtiger Schriftsteller recherchiert eben immer und überall.
Auf unser besorgtes Nachfragen ob seines Fernbleibens in diesem Jahr erhielten wir aus verläßlicher Quelle allerdings die verstörende Information, dass es sich bei besagtem Herrn gar nicht um einen Schriftsteller sondern um ein ehemaliges Mitglied der Wiener Philharmoniker handeln soll. Also das möchte ich so nicht glauben, schließlich soll die Wirklichkeit schon ein bisschen zu dem Bild passen, das wir uns von den Leuten so machen…
Bei „Kräuterlilli“ und Familie liegt der Fall ganz anders. Sie ist die Tochter der „Wienerin“, einer netten alten Dame, die früher zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann hier urlaubte. Jetzt kommt sie mit Tochter (besagter Kräuterlilli) , deren Mann und Sohn. „Kräuterlilli“ ist, wie der Name schon sagt, sehr naturverbunden. Wir sind sicher, dass sie zu Hause einen besonders ökologischen Naturkostladen betreibt, denn bei ihr darf alles wachsen und gedeihen: Achselhaare, Oberschenkelfett und Krampfadern. Sie trägt gebatikte Kleider, farblich dazu passende Haarspangen, emaillierten Schmuck und aus Bast geflochtene Schuhe. Wenn sie schwimmt, geschieht das lautlos und im absoluten Einklang mit den anderen Lebewesen im See.
Ebenso rücksichtsvoll erzogen ist ihr Sohn. Ein ca.13 jähriger Junge, der abds. immer im Jackett zum Essen erscheint, mit brav gescheitelter Frisur aufrecht am Tisch sitzt, Saft anstelle von Coca Cola trinkt, nur redet wenn er gefragt wird und zu guter Zeit unaufgefordert ins Bett verschwindet. Abschreckend gut erzogen sag ich da nur!
Es geht auch anders, wie uns die Kinder vom „Übervater“ beweisen.
Alexander und Olivia sind überaus erfolgreich damit, ihren Vater den lieben langen Tag zu tyrannisieren. Und was ein echter Übervater ist, der macht das unter ( An-) Teilname aller Miturlauber auch widerstandslos mit. „Übervater“ kauft Eis, holt Saft, lässt sich mit Sand einreiben, bläst Luftmatratzen, Boote und Schwimmflügel auf, versorgt Wespenstiche, geht mit zur Toilette, spielt Tischtennis, Wasserball, fährt Schlauchboot, bastelt Papierflieger, faltet Servietten, lässt sich als Indianer schminken und tanzt beim geselligen Abend auf der Terrasse mit den lieben Kleinen anstatt mit seiner Frau .Was für ein Mann, was für ein Vater! Man möchte schreien!
Ja, und dann wäre da noch „Dr. Erpel“ und seine Frau. Ohne sie ist der Urlaub kein richtiger Urlaub, denn sie gehören dazu wie Sonnenmilch, Ansichtskarten und ein paar Kilo zuviel.
„Dr. Erpel“ ist, wie unsere dezenten Nachforschungen ergeben haben, im wahren Leben Zahnarzt. Seine Frau, man muß es nicht wissen, man sieht es, ist seine erste Kraft und seine Assistenz am Stuhl. Außerdem herrscht sie über die Anmeldung, tyrannisiert die jungen Helferinnen, vergrault attraktive ,gutaussehende Patientinnen und treibt gnadenlos das Geld säumiger Zahler ein.
Dr. Erpel und Frau sind auch im Urlaub ein eingespieltes Team. Unzertrennlich bewegen sie sich durch die Hotelanlage, gehen gemeinsam zum Büfett, zusammen zur Toilette, Hand in Hand hinunter zum See, wo sie dann zusammen in die Fluten steigen. Keine Frage, schwimmen sie auch da ganz wie die Enten quasi im Geleitzug ihre Runden.
Erpels sind freundlich distanziert, korrekt und einem herzlich unsympathisch. Ein besonderes’ highlight’ ist es, wenn Bübchen, was ihr Sohn ist, übers Wochenende zu Besuch kommt. Bübchen studiert irgendwo in England, ist immer schwer im Prüfungsstress und gönnt sich nur für ein paar kurze Tage die wertvolle Zeit mit den Eltern. Natürlich ist er ebenso korrekt wie sie, trägt Timberlins, karierte Hemden, einen Pulli locker über den Schultern, gegeltes Haar und immer mindestens eine FAZ unterm Arm. Ein Schwiegersohn, wie man ihn sich wünscht, und bei dem man pausenlos schreien würde, wenn man ihn denn hätte. Bübchen hat einen Hang zur hellhäutigen Fettleibigkeit, bestimmt starke aber gepflegte Schweißfüße und abgebissene Fingernägel. Und wenn er dann bei schräg stehender Sonne langsam und bedächtig seinen Körper in den See trägt, möchte man dort nie, nie wieder baden.
Last but not least, ist da noch „Familie Fischer“, ohne die unsere Urlaubsbetrachtungen recht unvollständig wären.
Familie Fischer heißt so, weil Frau Fischer ganz entfernt so aussieht, wie eine ehemalige deutsche Gesundheitsministerin gleichen Namens. Über viele Jahre ignorierten wir die Familie weitgehend, weil sie, wie ich zugeben muß, figurmäßig so gar nicht in unser Weltbild passten. Man ist ja durchaus tolerant, aber was über 80 Kilo geht, ist dann schon grenzwertig und muß sich unsere Sympathien anderweitig erarbeiten.
Eines Tages wollte es das Schicksal, dass ich mich zusammen mit Frau Fischer auf einer Bank am See wiederfand und, man will ja nicht unhöflich sein, wir vorsichtig ins Gespräch kamen. Man kann sie in ihrem tiefösterreichischen Dialekt zwar kaum verstehen, aber was sie da so von sich gab, klang irgendwie freundlich und so begann im Angesicht des friedlich dahin plätschernden Sees eine zarte Annäherung. Da in solchen Fällen kollektive Sippenbehandlung gilt, wurden langsam auch Herr Fischer und noch langsamer die selten doofen Kinder in unser Prosympathisierungsprogramm aufgenommen.
Wir erwiderten fortan das morgendliche „moaggen“ mit einem freundlichen norddeutschen Kopfnicken, plauderten fast angeregt bei einer gemeinsam genossenen Weinprobe (was vermutlich auch ein wenig am Wein lag) und tauschten sogar schon den einen oder anderen Ausflugstipp aus. Als vorläufigen Höhepunkt unserer ständig gewachsenen Beziehung besichtigte Frau Fischer letztes Jahr sogar unser Hotelzimmer und die Männer verabschiedeten sich per Handschlag bis zum nächsten Jahr. Wow, so kann es gehen!!!
Ja, man wächst zusammen in den Jahren, und ich muß sagen, dass besonders diese Familie ein absolut dankbares Publikum unseres abendlichen Catwalks über die Terrasse ist. Solche Menschen weiß man dann doch zu schätzen – Übergewicht hin oder her.
Es ist halt wie in einer richtigen Familie. Da gibt es auch welche, mit denen man mehr und andere, mit denen man weniger anfangen kann.
Einen unbestechlichen Vorteil hat unsere Urlaubsfamilie allerdings:
Man sieht sich nur einmal im Jahr und das ganz freiwillig !
Donnerwetter, ganz schön bissig – ich werde keinen Urlaub in Kärnten an einem See machen…… – will ja schließlich keinen Zunamen bekommen…
Es wäre aber ein schöner Anfang für einen leichten Sommerroman