„ Das Honeymoon-Special“

September 9, 2019 0 Von Stahlhuth

Perlen sind aktuell so gar nicht mehr gefragt.
Das mussten wir leider feststellen, als wir neulich einige Perlenketten meiner verstorbenen Schwiegermutter verkaufen wollten. Kein Mensch interessiert sich dafür. Der Zeitgeist trägt momentan offensichtlich eine andere Mode!
Dasselbe gilt wohl auch für die „Perlenhochzeit“, denn wer ist heute noch dreißig Jahre am Stück mit dem selben Partner verheiratet? Auch das scheint nicht mehr wirklich en vogue zu sein.
So gesehen liegen wir ziemlich genau neben dem Trend. Ich finde Perlen nämlich wunderschön, und außerdem feiern wir in diesem Jahr dankbar, glücklich und zufrieden unsere „Perlenhochzeit“.
Da für den besagten Tag keine große Party zu erwarten war – wer hat uns und unserer Ehe vor dreißig Jahren schon eine Chance gegeben – beschließen wir zu verreisen, um das Jubiläum fernab des nicht zu erwartenden Trubels zu genießen.
Wir sind mal wieder auf einem Schiff, umrunden England und begehen diesen Tag, bescheiden und sparsam wie wir nun mal sind, in Schottland. Sparsam schon deshalb, weil wir vorab das kostenlose „Honeymoon-Special“ gebucht haben, das für alle Flitterwöchner und Paare mit runden Vermählungsdaten angeboten wird.
Da wollten wir es auf Kosten der Reederei doch mal so richtig krachen lassen und erfahren, wie sich Honeymoon im Perlenmodus wohl anfühlt.
Der große Tag beginnt dann auch schottisch sparsam, sowohl was den Seegang angeht als auch die Regenwolken. Beides gefällt uns gut und schmeichelt dem Karma.
Das kleine Fischerdorf auf den südlichen Hebriden liegt am Fuße von grünen Hügeln in einer lauschigen Bucht und wartet vermutlich seit dreißig Jahren auf unseren Besuch. Viel scheint sich nämlich in der Zwischenzeit dort nicht verändert zu haben. Eine verträumte, etwas aus der Zeit gefallene Kulisse. Wir waren uns sofort sympathisch.
Über einem wunderschönen Uferpfad machen wir uns auf den Weg zum alten Leuchtturm, den wir schon vom Schiff aus sehen konnten. Der Weg schlängelt sich munter am Hügel entlang, es grünt und blüht rechts und links und kitschig schön, sieht man durch die Bäume das weiße Schiff in der Bucht liegen. Viele Menschen sind hier nicht unterwegs, um so erstaunter sind wir, als plötzlich hinter einer Biegung unser Kapitän – heute in Zivil mit Wetterjacke und Baseballmütze – auftaucht. Spontan schmettert er uns seinen Glückwunsch zum heutigen Tag entgegen, wünscht für weitere dreißig Jahre alles Gute und freut sich, uns morgen an seinem Tisch begrüßen zu dürfen. Das hätten wir so jetzt auch nicht erwartet und fragen uns, ob das wohl auch zum Honeymoon-Special gehört oder einfach nur eine freundliche Geste des Kapitäns war?
Als der Leuchtturm dann auftaucht, machen wir das „offizielle Pressephoto“ für die Lieben zu Hause. Ist schon sehr symbolträchtig, der Leuchtturm im Hintergrund und wie wir beide so davor stehen. Wo es doch immer gut ist, auf der Reise durchs (Ehe) Leben einen Leuchtturm in der Nähe zu haben. Ich bin ganz ergriffen, als sich mir dieser Zusammenhang erschließt. Und dann noch das kleine Cottage und die weiße Mauer, die von dort zum Leuchtturm führt, fast wie eine Perlenkette am Ufer… Ach, man muss die Zeichen nur erkennen, dann bekommt so ein Tag gleich eine ganz andere Tiefe, einen außergewöhnlichen Flair.
Zurück auf dem Schiff eilen wir in den Spa-Bereich, den wir sonst so wenig betreten wie die Brücke des Kapitäns. Aber im Honeymoon-Special war schließlich auch eine Massage enthalten, und die lehnt man ja nicht einfach ab.
Gelockert und geölt erwartet uns anschließend auf der Suite die nächste Überraschung. Eine Glückwunschkarte nebst silbernem Bilderrahmen von der Reederei, sicherlich gedacht für das Erinnerungsphoto vom Käptn‘s table. Doch das kommt erst am nächsten Tag. Für heute wartet nämlich noch ein 7 Gänge Menü incl. Weinreise im Gourmetrestaurant auf uns. Ich sag es doch, wie die Perlen einer Kette reiht sich hier ein Highlight an das andere. Der „Perlenmodus“ fängt an mir zu gefallen.
Also Dusche, Maske und Garderobe. So ganz unanstrengend sind solche Tage nicht, aber es gibt sie ja auch nicht so oft.
Im Restaurant am Abend ist unser Tisch mit Rosenblättern geschmückt und der ambitionierte Ober erklärt uns die Speisefolge. Damit man auch weiß, was gerade die Geschmacksexplosion im Gaumen auslöst, hat man für jeden Gang ein eigenes kleines Kärtchen vor sich liegen. Damit nicht genug, der Ober erklärt einem dann auch noch, wie genau man die einzelnen Speisen zu sich zu nehmen hat. Bislang waren wir ja der Meinung, halbwegs vernünftig essen zu können, aber der Chefkoch hat da wohl andere Vorstellungen: Die Suppe soll man trinken, nicht löffeln, den Fenchelsalat zur Lachsforelle am besten mit der Zitronenemulsion zusammen im Mund zergehen lassen, beim Sorbet zunächst das Eis separat kosten ehe es mit Champagner aufgegossen wird und schließlich das tomatisierte Kompott auf jeden Fall unbedingt zusammen mit dem Seeteufel inhalieren. Wie gestelzt kann man Speisen eigentlich beschreiben? Man lernt eben nie aus, auch wenn man solche Dinge im Leben nicht braucht. Die begleitenden Weine sind, so man den blumigen Ausführungen des Sommeliers Glauben schenken darf, eigentlich fast zu schade für derart gewöhnliche Gaumen wie unsere, und irgendwie schmecken sie uns auch nicht wirklich. Da gönnen wir uns doch später auf der Suite noch ein ganz profanes Bier aus der Mini Bar! Welch ein Genuss!
Auch Jubiläen haben ihren Nachklang. Bei uns besteht er in einer Einladung zum Käptn‘s table am nächsten Abend. Wohlgemerkt mit drei anderen ausgewählten Paaren, die sowohl 20, 50 als auch 60 gemeinsame Jahre hinter sich haben und auch alle in den Genuss des Honeymoon-Specials kommen.
Man trifft sich im Atrium, um dann in Formation mit dem Kapitän an der Spitze in den Speiseraum einzuziehen. Dass die Bordkapelle nicht noch „God save the Queen“ ( wir sind schließlich in England) spielt, finde ich dann doch ein bisschen schade. Aber okay, „rule britania“ wäre auch gut gewesen, da bin ich nicht so festgelegt. Der leichte Seegang verdeckt, dass ich in meinen Sling Pumps etwas unsicher hin und her rutsche. Sie passen aber farblich perfekt zu meinem Kleid, und derart kleine Opfer muss man an solchen Tagen eben bringen. Zum Glück dürfen sich die Damen beim Gruppenphoto hinsetzen, während die Herren hinter ihnen im Halbkreis Aufstellung nehmen. Fast ein bisschen wie bei den Royals …
Schließlich hat man dann alle Voraussetzungen erfüllt, um an der festlichen Tafel Platz nehmen zu dürfen.
Auch in seiner schicken Galauniform ist unser Kapitän bodenständig, bescheiden und humorvoll, was ich von meinem Tischherrn zur Linken so gar nicht behaupten kann. Der unterrichtet mich nämlich sehr ausführlich darüber, was für ein unheimlich erfolgreicher und phantastisch vernetzter Typ er sei. Man kann es auch kurz so zusammenfassen: Meine Villa, meine Reisen, meine Honorigkeit und meine prominenten Freunde…
Der Wein heute schmeckt viel besser als der am Abend vorher, was in dieser Situation durchaus nicht unwichtig ist. Da schlage ich auch am Ende des Abends den Grappa des Kapitäns nicht aus.
Mit dieser Veranstaltung haben wir denn auch alle Angebote des Honeymoon–-Specials voll ausgekostet. Es hat sich gelohnt, und wir haben es genossen. Wer weiß, ob es so etwas in 10 oder 20 Jahren noch einmal gibt. Aber dann wäre es ja auch keine Perlenhochzeit mehr und Perlen, wie soll ich sagen? Perlen haben doch irgendwie etwas zeitlos Schönes. Davon lasse ich mich nicht abbringen.

Die angesagten Trendforscher meinen ja sowieso: Perlen kommen wieder! Mein Reden! Was sich bewährt hat, bleibt oder kehrt irgendwann zurück! Perlenhochzeit, Perlen – wir sind eben doch voll im Trend. Das haben nur noch nicht alle verstanden.