Ansichten und Einsichten von Mensch und Hund (4)
Wir: „Lippenstift und Gummistiefel“
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Die Frage ist: Liegt es am Hund oder an diesen besonderen Zeiten momentan? Vielleicht an beidem. Fest steht jedenfalls, dass seit Monaten nur ein Bruchteil unserer vorhandenen Garderobe zum Einsatz kommt. Lock down im Kleiderschrank!
All die schönen und edlen Teile hängen nämlich ungenutzt herum und vegetieren allmählich ihrer modischen Vergänglichkeit entgegen.
Was tragen wir stattdessen?
Funktionelle, praktische Allwetterkleidung aus robusten Materialien. Absolut zweckmäßig und natürlich auch hundekonform.
Mein Göttergatte z.B. hat dabei seine Liebe zu einer alten Lederjeans entdeckt, die mit jedem Tragen speckiger und fleckiger wird, aber für alle Outdoor Aktivitäten mit Sam das angesagte Kleidungsstück ist. Er findet sich total hip damit, und meine hygienischen Bedenken – man kann so ein Teil ja nicht einfach mal waschen – werden mit nur einem einzigen Begriff vom Tisch gewischt: Patina! Das rechtfertigt alles und duldet kein Waschprogramm. Wenn er dann noch die derben Stiefel und den Anorak anzieht, den Kragen hochstellt, seine Mütze tief ins Gesicht zieht und auch die Brille zu Hause lässt, erkennt ihn nur noch Sam und der vermutlich auch mehr am Geruch …
Vorbei sind die Zeiten, als dieser Mann noch im blauen Mantel mit Samtkragen, den Borsalino auf dem Kopf, die Budapester Schuhe an den Füßen und die FAZ unterm Arm durch die Stadt flanierte. Erinnerungen an eine andere Epoche…, modische Welten liegen dazwischen…
Bei mir sieht es nicht anders aus. Pumps mit schwindelerregenden Absätzen vereinsamen im Schuhschrank, Cocktailkleider hängen gelangweilt auf ihren Bügeln rum, und feine Blazer aller Art vergessen langsam, wofür man sie einst brauchte. Ihre Bühne gibt es einfach nicht mehr. Stattdessen sind meine Gummistiefel mit dicken Socken, die Beanie-Mütze und die Allwetterjacke zur Topkollektion avanciert. Vergessen sind auch edle Handtaschen oder angesagte Shopper. Der recyclebare Kackbeutel von Sam ist jetzt meine „it bag“. Lässig baumelt er an meinem Handgelenk, ganz besonders stylisch, wenn frisch befüllt und kunstvoll verknotet. In jeder Jackentasche finden sich ausreichend Ersatzbeutel und Leckerlis. Da bleibt für Parfümzerstäuber und Puderdose leider kein Platz mehr. Hin und wieder versuche ich noch ein Revival, indem ich bei meinem maskenfreien Gassigang übers Feld etwas Lippenstift auftrage. Der Erfolg ist mäßig, denn über die Monate ist auch der eingetrocknet…, bröckelnder Glanz vergangener Zeiten…
Die Situation bei Sam ist da ganz anders. Er sorgt für neue Leinen oder Halsbänder, indem er hin und wieder eines durchbeißt. Sonst ist er recht genügsam. Seine angeborene Hundeschönheit spricht für sich und muss nicht noch durch Äußerlichkeiten betont werden. Und selbst wenn sein Wortschatz nur ca. 100 Begriffe umfassen soll, Komplimente versteht Sam in jeder Sprache und nimmt sie huldvoll entgegen. Da ist er multilingual veranlagt.
Gerade hat er auch seine eigene Stimme entdeckt und gemerkt, dass da noch viel mehr geht als nur zu bellen. Das kann schließlich jede Töle. Er versteht es inzwischen je nach Bedarf in komplett verschiedenen Tonlagen ganze Hundearien zu intonieren. Das geht vom verhaltenen Wuffen und Knurren über fröhliches Glucksen bis hin zu herzerweichendem Johlen oder Winseln. Was für uns nicht unbedingt ein akustischer Genuss ist, zumal wir die einzelnen Arien noch nicht wirklich zuordnen können, scheint ihm umso mehr zu gefallen. Er ist schon ein außergewöhnlicher Hund, unser Sam, wobei man ehrlicherweise zugeben muss, dass wir nicht wirklich einen Vergleich haben. Da geht es einem wie bei den Kindern. Die eigenen sind immer die tollsten, besten und schönsten.
Besonders beeindruckend ist z. B. sein Zeitgefühl, das er vor allem morgens früh unter Beweis stellt. Pünktlich mit höchstens fünf bis zehn Minuten Abweichung steht er um sieben Uhr schwanzwedelnd vor meinem Bett. Die Vorderpfoten auf der Matratze, so dass ich, sollte ich zu nah am Rand liegen, in den Genuss eines intensiven feuchten „Guten Morgen Kusses“ komme. Im Prinzip habe ich ja nichts gegen Küsse am frühen Morgen, sie müssen allerdings nicht unbedingt von meinem Hund kommen. Kaum sitze ich dann an der Bettkante, werden mir auch noch die Füße geküsst. Da kann der Tag ja nur gut werden….
Nun ist es natürlich nicht so, dass Sam nur gibt und wir nehmen. Was in unseren Kräften steht, versuchen wir natürlich ihm das Hundeleben hier so angenehm wie möglich zu gestalten.
Sein sicher hervorragendes Trockenfutter garniere ich ihm mit frischem Gemüse, denn auch Hundeaugen essen mit! Nach einem anstrengenden Tag bekommt der gute Hund ein Tellerchen selbstgekochter Möhrensuppe mit Reis und etwas Putenfleisch. Da ist er kein Kostverächter, und es macht uns gar nichts aus, für die vorgekochte Suppe unsere Leckereien aus dem Kühlschrank zu räumen. Was brauchen wir Feinkost, wenn doch dem Hund die Suppe so guttut.
Und wie so oft im Leben hat man auch hier fast immer die Wahl:
Gekühlter Sekt oder Möhrensuppe?
Handtasche oder Kackbeutel?
Pumps oder Gummistiefel?
Hundekuss oder Wecker?
Frisur oder Mütze?
Tuchmantel oder Wetterjacke?
Die Entscheidung fällt meistens zu Gunsten von Sam aus, denn nur wenn er glücklich ist, sind wir es auch.
Frei nach dem Motto:
„Ist der Hund vergnügt und froh, sind’s die Halter ebenso“.
Sam: „Auch kleine Hunde werden groß“
Ich bin ganz schön gewachsen in der letzten Zeit und habe auch gut an Gewicht zugelegt. Das ist nicht schlecht, denn jetzt werde ich allmählich als richtiger Hund wahrgenommen. Es fühlt sich echt geil an schon fast erwachsen zu sein, und ich denke, so langsam sollte man Respekt vor mir haben. Okay, das klappt noch nicht wirklich, aber ich arbeite daran.
Wenn mir was nicht passt, bin ich stur wie ein Esel, oder was noch besser funktioniert, ich mache Radau. Dazu muss ich nicht unbedingt bellen, ich kann nämlich auch jaulen, fiepen, quietschen und wenn es sein muss auch mal schreien. Herrchen und Frauchen kennen das noch nicht von mir, und mit den verschiedenen Tönen kann ich sie ganz irre machen. Dann wissen sie nämlich erst einmal nicht, hab ich jetzt Bauchweh oder Hunger oder muss ich mal raus. Aber manchmal hab ich einfach nur Langeweile und will für ein bisschen Stimmung sorgen und mich bemerkbar machen. Tolle Sache! Ich muss das noch etwas perfektionieren, aber ich spüre ganz deutlich, das funktioniert gut!
Inzwischen bin ich auch schon so groß, dass ich bei Frauchen fast ins Bett hopsen kann. Mach ich natürlich nicht, aber morgens spring ich schon mal an der Matratze hoch und schau sie mir an, wie sie da so liegt und vor sich hin schlummert. Ich mag sie ja zu gern, und wenn sie da so direkt vor meiner Schnauze ist, kann ich mich kaum beherrschen ihr übers ganze Gesicht zu lecken. Ein paar Mal hab ich das schon probiert, aber komischerweise kapiert sie einfach nicht, wie toll das ist, und was für eine weiche Zunge ich doch habe. Na ja, auch das wird sie irgendwann zu schätzen wissen und dann gar nicht mehr genug davon bekommen. Man kennt das ja…
Ich soll ja auch immer noch dazu lernen, obwohl ich finde, ich kann schon so viel und komme damit recht gut durch mein Hundeleben. Aber die Menschen ticken da halt anders, da muss alles perfekt sein und immer noch mehr und noch besser.
Durch diese blöde Pandemie von der alle ständig reden, hab ich jetzt auch „homeschooling“, weil sie keine Hundeschule abhalten dürfen. Das ist vielleicht ein hin und her. Da soll ich von diesen beiden Hundelaien etwas beigebracht bekommen, was sie sich in irgendwelchen YouTube Filmchen angesehen haben. Und wenn sie es dann an mir ausprobieren wollen, sind sie sich noch nicht einmal einig, und einer meint es besser zu wissen als der andere. So ein Quatsch! Also da stell ich gleich auf Durchzug und verweigere komplett. Auch das kann ich richtig gut.
Rückruftraining sag ich nur: Die haben doch glatt versucht mich mit einer Trillerpfeife und etwas Käse zu locken. Ja, wer bin ich denn, dass ich nach jemandes Pfeife tanze? Das geht total gegen meine Hundeehre, das hab ich ganz klar gemacht. Sollen sie doch ihren Käse selbst essen – obwohl verdammt gut gerochen hat der schon. Aber da muss man konsequent bleiben, auch wenn es schwerfällt.
Auch ihre pädagogischen Versteckspielchen hab ich sofort durchschaut. Sie verstecken mit geheimnisvoller Miene mein Spielzeug (ich seh natürlich genau wo)), und wenn ich es dann hole, freuen sie sich, als wäre ich Columbus und hätte Amerika entdeckt. Ziemlich armselig, wenn denen da nichts anderes einfällt.
Neulich hab ich mich mal selbst um Weiterbildung bemüht und die alten Zeitungen im Keller studiert. Das war ausgesprochen interessant, den ganzen Stapel habe ich aufgeblättert und in ein kleineres Format zerlegt. Komisch, das fanden sie jetzt nicht so gut. Nur Herrchen meinte „immerhin liest er die FAZ“. Ja was denn sonst? Hunde-Bild gibt es hier ja nicht.
Und dann ist da noch das leidige Thema waschen,baden, duschen oder was Menschen eben so toll und wichtig finden. Ich persönlich kann ja diesen ganzen Wasserorgien so gar nichts abgewinnen. Ich habe ein schönes Fell und rieche etwas nach Hund. Was bitte schön ist daran verkehrt? Zuerst haben sie es mit mir in der Badewanne versucht. Weil ich nicht wusste, was kommt, hab ich mich da auch brav reinsetzen lassen. Das war ein großer Fehler, denn raus kam ich nicht mehr allein. Alles glitschig und nass, ich hatte echt Panik! Außerdem haben sie mir die Brause über den Kopf gehalten, mich eingeseift und mir erklären wollen, wie toll das ist. Schrecklich war es und mit dem doofen Duschschlauch hätte ich mich fast stranguliert. Beim nächsten Mal haben sie es in der Dusche versucht, sogar ein Handtuch reingelegt, damit ich denke, das könnte gemütlich werden. Nix mit Gemütlichkeit! Nass, schaumig und sauglatt wars. Die edlen Leckerlis, die sie mir als Bestechung angeboten haben, fielen natürlich auch ins Wasser, waren aufgeweicht und schmeckten scheußlich nach Seife. Bääääh! Herrchen würde bestimmt auch keine eingeweichten Pralinen wollen. Aber soweit denken die halt nicht. Immerhin aus der Dusche konnte ich mich selbst befreien, und dann hab ich mich erst einmal so richtig geschüttelt und dann nochmal und nochmal und immer wieder. Das war Klasse! Frauchen, meine Patentante und das ganze Badezimmer waren klatschnass und ich hatte meinen Spaß.
Was sollte man daraus lernen? Hunde – Rache muss nicht süß, sie kann auch verdammt feucht sein!
Eine Freude zu Lesen 😊😊😊