Walken mit Wagner
Mit Wagner hab’ ich nicht besonders viel am Hut, und was mir dazu einfällt, gehört weniger zu den angenehmen “highlights“ meiner persönlichen Erinnerungen.
Konrad Wagner, das war ein Mitschüler mit abgekauten Fingernägeln und Ohren voller gelbem Schmalz.
Dr.Wagner, so hieß mal ein Frauenarzt in unserem Ort, der besser Veterinär geworden wäre, denn er behandelte die Frauen wie Kühe.
Wagner war aber auch der Name eines Cafes in meiner Heimatstadt. Dort gab es Kakao mit Haut, die so dick war wie die Servietten auf dem Tisch.
Auf „Wagner“ hörte der gestörte Dackel einer Kollegin, der am liebsten nur Cognacpralinen ohne Kruste fraß und in wilder Homo-Ehe mit einem Mischlingshund namens „Schubert“ lebte.
Ja, und dann wäre da noch Richard Wagner, der Lieblingskomponist Hitlers, auch nicht gerade die beste Empfehlung. Die Nachfahren hoffnungslos zerstritten, jährliche Festspiele und regelmäßige Skandale um irgendwelche Inszenierungen. Seine Musik? Sagt mir herzlich wenig, eigentlich gar nichts.
Alles in allem kann ich also mit diesem Namen nicht allzuviel anfangen, und noch nie hat er ein sonderliches Interesse in mir geweckt.
Das änderte sich vor ein paar Wochen.
Ich stehe in der CD-Abteilung einer großen Buchhandlung und bin eigentlich auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für unseren Freund. Wie immer ein schwieriges Unterfangen, wenn einer sich nichts wünscht, alles hat, nichts braucht und man doch verzweifelt versucht, noch etwas Besonderes zu finden.
Hörbuch, dachte ich, wäre eine Idee. Klein aber fein, vielleicht nicht wahnsinnig originell, aber gut zu verpacken und ggf. bei nicht Gefallen problemlos weiter zu verschenken.
Ich blättere also in dem riesigen Angebot zwischen Krimi, Lyrik und den neuesten Biographien und weiß eigentlich schon, daß ich mit der Auswahl hoffnungslos überfordert bin, als mir plötzlich – falsch einsortiert – eine CD, „Walken mit Wagner“, in die Hände fällt.
Das klingt so verkehrt, daß ich unwillkürlich inne halte. Augenblicklich sind Hörbuch und Freund vergessen. „Walken mit Wagner“ fesselt mich.
Man muß nämlich wissen, daß ich seit geraumer Zeit, meinem fortschreitenden Alter und dem damit einhergehenden Welkungsprozeß geschuldet, meine sportlichen Aktivitäten deutlich verstärkt habe. Dazu gehört es auch ein- bis zweimal in der Woche zu walken. Mein Mann, ein passionierter Jogger a.D., belächelt diese sogenannte Sportart milde. Sie ist für ihn nicht mehr als ein zügiges Spazierengehen, wozu es natürlich auch keinerlei Ausrüstung bedarf.
Sollte er sich an guten Ehetagen dennoch herablassen mich zu begleiten, so unterstreicht er seine Einstellung deutlich, indem er jegliches sportliche Outfit konsequent verweigert. Meine Walkingstöcke sind ihm dabei ebenso peinlich, wie umgekehrt mir seine Budapester Schuhe, die Cordhose mit dem hellblaugestreiften Hemd und die blaue Steppjacke, in der er betont spaziergängermäßig neben mir herläuft.
Die gemeinsame Runde ist also deutlicher Ausdruck ehelicher Kompromissbereitschaft und so gesehen von unschätzbarem Wert.
Zurück zu Wagner. Der Freund bleibt vorerst ohne Geschenk, dafür verlasse ich das Geschäft mit einem neuen „Trainingspartner“in der Tasche.
Ein paar technischer Rafinessen bedarf es allerdings noch, bis Richard ( unter Sportlern ist man ja schnell beim vertrauten Du) auf mein Handy gespielt ist.
Mein Sohn leistet dank modernster Technik die wertvollen Vorarbeiten aus der Ferne, und mein Mann, ganz Kumpel in dieser Angelegenheit, sorgt schließlich dafür, daß die Kompositionen einen würdigen Platz auf meinem Handy bekommen. Schon nach ein paar Tagen kann ich die neue „Walking Partnerschaft“ testen. Aber wie das halt so geht, beim ersten Mal. Das ist im Sport auch nicht anders als sonst im Leben. Alles noch etwas verkrampft, ein bißchen ungelenk und ziemlich aufregend, vor allem, wenn mein lieber Mann die Vorbereitungen mit einem gnädig herablassenden Lächeln begleitet.
Die neuen Kopfhörer sind ausgesprochen ungewohnt in meinen Ohren, erst höre ich gar nichts, dann zerfetzt Parsival mir schier das Trommelfell. Daß man die Lautstärke direkt an der kleinen Verdickung ganz oben in der Leitung regeln kann, erschließt sich mir erst sehr viel später und eher zufällig. Bis dahin krame ich unzählige Male das Handy umständlich aus der Innentasche, wobei sich das Kabel regelmäßig im Reißverschuß der Jacke verklemmt, ich dann beinahe über meine Stöcke stolpere und mir zu allem Überfluß nun auch noch die Nase läuft. Die rettenden Taschentücher mussten allerdings ihren Platz fürs Handy räumen, und so lass ich eben den Sekreten ihren Lauf. Mit den „Meistersingern von Nürnberg“ im Ohr passiere ich mutig einen kalbsgroßen Hund, der mich nur blöd anschaut und bei „Tannhäusers Einzug der Gäste“ streift mich beinahe ein Autobus, den ich natürlich nicht habe kommen hören. Wie auch?
Als ich verschreckt zur Seite springe, fallen mir gleich beide Stöpsel aus den Ohren und beschallen kurzzeitig den Boden. Bis ich dann alles wieder geordnet habe, ist Richard schon beim „Fliegenden Holländer“ angelangt, und ich überhole schwungvoll eine Mutti mit Kinderwagen, eine Oma mit Dackel, einen durchtrainierten Jogger, der sich gerade am Brückengeländer die Muskeln dehnt, verschiedene Rentner mit ihren Rollatoren und eine ganze Reihe rausgestellter Mülltonnen in unserer Straße. Mit der Wucht der „Walküre“ schließlich erreiche ich unseren Vorgarten. Der Vorhang fällt zwar nicht, aber er bewegt sich, denn mein lieber Mann erwartet mich schon.
Wie war nun „Walken mit Wagner?“ Ein bißchen speziell würde ich sagen, aber nicht übel. Ich könnte mir dieses akustische Laufvergnügen allerdings auch durchaus mit anderen musikalischen Talenten vorstellen – Mozart, Strauss, den Beatles oder vielleicht mit Adriano Celentano. Denn auch diesen Talenten sollte man mindestens mal eine Chance geben.
Und für den Fall, daß mir das alles eines Tages vielleicht denn doch mit etwas zuviel Geräusch verbunden ist und ich Sehnsucht habe nach Vogelgezwitscher, Hundegebell, dem Gräusch der vorbeifahrenden Autos, dem Knirschen von Kies unter meinen Schuhen oder einfach einem netten Gespräch während der Runde, für diesen ganz speziellen Fall wechsle ich dann eben zurück in den „Spaziergängermodus“ und erfreue mich am „Walken mit dem Ehemann“.