„Tief Christa“

Oktober 27, 2019 0 Von Stahlhuth

Die meteorologischen Tiefs haben meist männliche Namen wie Xaver, Quentin oder Kurt. Naht ein Tief, bedeutet das sehr oft Regen, Sturm und unfreundliche Wetterlagen. Wer mag das schon?
Man erträgt und erduldet sie, was soll man auch sonst tun und hofft auf das nächste Hoch, das einen für die erlittenen Qualen wieder entschädigt. In der Regel funktioniert das auch wenigstens beim Wetter.
Im menschlichen Miteinander habe ich ähnliches beobachtet. Auch da gibt es „Hochs“ und „Tiefs“. Die Geschlechter scheinen mir hier allerdings oftmals anders verteilt. Außerdem hat man im gesellschaftlichen Alltag eher mal die Möglichkeit einem drohenden „Tief“ aus dem Wege zu gehen..
Das gelingt natürlich nicht immer, und so gibt es hin und wieder auch hier Situationen, da lässt sich ein Zusammentreffen einfach nicht vermeiden. Ehe man sich versieht, darf man unvorbereitet, plötzlich und sehr intensiv alle Facetten menschlichen Schlechtwetters erfahren. So zum Beispiel geschehen auf einer Schiffsreise vor einiger Zeit.
Zugegeben man befindet sich da auf relativ engem Raum und kann dem Unheil weit weniger entgehen als an Land. Um so vehementer trifft einen dann die volle Wucht menschlich negativen Einfallsreichtums, und der kann erstaunlich groß sein.
Diese Tiefs heißen bei uns ganz allgemein „Tief Christa“ und zeichnen sich dadurch aus, dass sie meist weiblich sind und – egal wie und wo – stets etwas zu meckern, zu kritisieren oder zu beanstanden haben. „Tief Christa“ kann man einfach nichts recht machen, und mit dem unguten, negativen Karma, das sie schafft, macht sich ganz schnell eine schlechte Stimmung in ihrer Umgebung breit.
Unverhofft geraten wir in diesen unguten Dunstkreis, als wir mit „Tief Christa“ zusammen auf einen Ausflugsbus warten. Die Sonne scheint und es geht eine leichte Brise, man ist schließlich an der Küste, und „Tief Christa“ eröffnet sogleich das aufgezwungene Gespräch mit deutlich vorwurfsvoller Miene: Der Wind ist heute aber sehr kalt, das haben sie gar nicht so vorher gesagt. Na hoffentlich kommt der Bus endlich, nicht dass ich mir hier noch was weghole. Kaum ist sie im Bus eingestiegen und hat ihren Fensterplatz erobert, stellt sie fest: Der Wagen ist ja total aufgeheizt, und dann brennt die Sonne noch so entsetzlich durch das Fenster. Da sitze ich ja wie hinter einem Brennglas. Sie braucht jetzt unbedingt einen anderen Platz. Dort stört sie allerdings die Klimaanlage und sie befürchtet Zug zu bekommen. Demonstrativ schlingt sie ihren Schal um den Hals und hustet schon mal prophylaktisch ihren Vordermann an.
Das Headset, welches der Reiseleiter an alle Mitfahrenden verteilt, damit ihn jeder problemlos verstehen kann, drückt an ihr Ohr bzw. an den Bügel ihrer D.G. Sonnenbrille, die sie jetzt auch ohne Sonne aufbehalten muss. Dass der Bus aber auch kein ordentliches Mikrophon hat, geht eigentlich gar nicht. Aber gut, dann hör ich eben nichts. Schmollt sie und nimmt das Headset ab. Am Ziel angekommen, weiß sie natürlich weder, wo sich die Toiletten befinden, noch wo der Sammelpunkt für den gemeinsamen Rundgang ist. Wie auch, ihr Öhrchen hatte ja Probleme mit dem Headset. Also fragt sie alles noch einmal ab, um dann festzustellen, dass die Information früher auch schon mal umfassender und besser war. Nun werden zwei verschiedene Spaziergänge angeboten. Eine kürzere, sehr bequeme Route und eine etwas längere leicht anspruchsvollere Variante. „Tief Christa“ hat sich schon vorab bei anderen Reisenden erkundigt und weiß bereits, dass die längere Version sehr, sehr lang ist. Außerdem soll es da ziemlich windig, schattig, feucht und uneben sein; eine Information, die man ihr auch von offizieller Seite vorenthalten hat. Also eigentlich unzumutbar.
Sie wählt natürlich den kürzeren Weg, ist somit auch früher am Ziel und muss nun etwas warten bis die anderen, die etwas ambitionierter unterwegs waren, kommen. Sie ist ‚not amused‘. Dafür macht sie diesen Ausflug nicht, um dann hier bei Tee und Gebäck, quasi abgestellt, ausharren zu müssen. Eigentlich möchte sie dafür einen Tel ihrer Auslagen zurückerstattet haben, was sie gnädigerweise auch denen zubilligt, die ohne zu maulen mit ihr gewartet haben.
Auf dem Rückweg kommt der Bus in einen kleinen Stau und „Tief Christa“ hat große Bedenken rechtzeitig zur nächsten Mahlzeit wieder an Bord zu sein. Ob wir vor dem Ausflug etwas gegessen hätten, fragt sie uns. Haben wir nicht und sind auch noch nicht verhungert. Da haben sie aber Glück stellt sie fest, denn es schmeckte einfach schrecklich. Dazu macht sie ein Gesicht, als wäre sie knapp einer Lebensmittelvergiftung entgangen. Nun muss man wissen, dass bei dieser Reise 4 Restaurants zur Auswahl stehen und man dort unter x verschiedenen Köstlichkeiten seine Auswahl treffen kann. Schwer nachzuvollziehen, wie man da etwas Ungenießbares finden soll.
Überhaupt ist diese Reise entsetzlich anstrengend, sinniert sie. Man hat ja wirklich keinen Augenblick seine Ruhe. Ständig sind Besichtigungen,Vorträge, Konzerte oder irgend etwas anderes. Das hat sie sich doch wirklich ruhiger und beschaulicher vorgestellt. Vermutlich hat man ihr nicht noch einmal ganz persönlich klar gemacht, dass alle Aktivitäten und Veranstaltungen freiwillig sind und sie zu keiner Teilnahme verpflichtet ist. Ein unverzeihlicher Fehler der Reederei!
„Tief Christa“ ist allein reisend, was sicher nicht ganz leicht ist. Ihr die entsprechende Gesellschaft am Tisch zu vermitteln, ist dagegen schier unmöglich. Setzt man sie zu anderen Alleinreisenden, befindet sie: das geht ja gar nicht, ich bin doch hier nicht im Single Club! Hat sie einen Platz zwischen anderen Paaren, kommt sie sich vor wie das fünfte Rad am Wagen. Mischt man nun Paare und Alleinreisende, dann kann sie sich nicht orientieren, wer wozu gehört. Allein sitzen möchte sie allerdings auch nicht. Wozu mach ich so eine Reise? Man möchte doch schließlich neue Menschen kennenlernen. Allein bin ich oft genug! Das glaubt man ihr auf Wort, und wir könnten – würde sie danach fragen – auch erklären, woran es liegt. Aber „Tief Christa“ fragt nicht, sondern kritisiert sich weiter durch den Tag. Im Spa hat sie nicht den gewünschten Termin bekommen, weil auch andere die Idee hatten einen Seetag dafür zu nützen. Der Bordarzt sieht ihrer Ansicht nach nicht wirklich kompetent aus, na hoffentlich brauch ich den nicht, und ob der Kapitän nicht vielleicht schon zu alt für seine Job ist? Sie hat da so ihre Zweifel.
„Tief Christa“ ist eine wirklich stabile Schlechtwetterlage und es braucht viel Optimismus, Gelassenheit und menschliche Nachsicht, um halbwegs höflich zu bleiben und nicht irgendwann mal ausfallend zu werden. Die Versuchung ist da durchaus gegeben.

Und die „Hochs“, die in unserem Fall dann dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden? Man soll nicht glauben, dass das nun zwangsläufig Optimismus, Zufriedenheit und Frohsinn bedeuten würde. Das gibt es zum Glück auch hin und wieder, aber das maskuline menschliche „Hoch“ zeichnet sich doch oft durch eine gewisse Selbstgefälligkeit und ein überstarkes Selbstbewusstsein aus. Die Devise lautet hier nicht selten: nicht gemeckert, ist Lob genug und wenn schon Lob, dann Eigenlob. Da weiß man wenigstens, dass es berechtigt ist. Damit umzugehen, ist auch eine gewisse Herausforderung.
Doch das ist dann eine andere Geschichte.
Bleibt noch zu sagen, dass man meteorologisch als auch menschlich mit den weniger extremen Wetterlagen am besten klar kommt. Extreme sind eben hier wie da schwerer zu ertragen.