Wohnprojekt

März 21, 2021 0 Von Stahlhuth

Man mag es nicht glauben, aber es gibt tatsächlich noch ein Leben neben dem Hund, sogar bei uns.

Corona und die damit verbundenen Lock Downs haben das öffentliche Leben zwar weitgehend eingefroren, man kann weder ins Restaurant noch verreisen, und auch der Besuch von oder bei Freunden ist kaum möglich, das bedeutet aber noch lange nicht, dass nichts passiert.

Notgedrungen besinnt man sich nun auf sich selbst und das Leben im Allgemeinen. Und schon dauert es gar nicht lange, bis einem der eine oder andere Gedanke kommt, der so abwegig ist, dass er es bisher nie unter die Top Ten geschafft hat.

Ich meine damit nicht die Anschaffung eines Haustieres oder die Neugestaltung des Gartens, weder Online Seminare, die kein Mensch braucht, noch eine aufwendige Kellerrenovierung oder gar ein ambitioniertes Kunstprojekt.  Nein, ich denke da an etwas Neues, zukunftsorientiert und nachhaltig.

Wenn dann noch, wie bei uns geschehen, die lieben langjährigen Nachbarn relativ unvermittelt ausziehen, surft man urplötzlich völlig ungehemmt auf einer bisher nie da gewesenen Gedankenwelle.

Besagter Freund und Nachbar hat nämlich nach reiflicher Überlegung zusammen mit seiner Angetrauten entschieden, dass sein Haus jetzt zu groß sei, man das Alter erreicht habe, und ein Umzug in eine kleinere Einheit nun sinnvoll wäre. Gedacht, uns informiert und innerhalb weniger Monate zügig gehandelt. Das Ganze lief ab wie ein extrem gut geschriebenes Drehbuch. Und während wir noch staunend am Gartenzaun standen und dem Möbelwagen hinterher sahen, merkten wir, dass sich nicht zuletzt dadurch etwas ziemlich grundlegend verändert hat. Ähnliche Beweggründe und Gedanken ploppten plötzlich auch bei uns auf und entwickelten eine fast beängstigende Eigendynamik.

Wie der Zufall es in solchen Situationen oft will, fand sich schon bald ein in Planung befindliches, interessantes Objekt in guter stadtnaher Lage, das wie für uns geschaffen war. Motiviert und ermutigt von der Entschlussfähigkeit unserer Nachbarn, inspiriert von deren konsequenter Durchführung und nicht zuletzt mit einem Seitenblick auf unser eigenes Alter kauften wir also kurzentschlossen dort eine Wohnung, die allerdings erst in ca. zwei Jahren bezugsfertig sein wird.

Unmittelbar nach dieser Entscheidung hat bei uns ein neues Zeitalter begonnen. Alles und jedes wird ab sofort auf seine „Ü-Zwei-Jahre Tauglich-bzw. Notwendigkeit“ geprüft. Ist es unverzichtbar oder nur schön? Braucht man es unbedingt und wenn ja, in welcher Menge? Wann haben wir etwas zum letzten Mal wirklich benützt? Ist es überhaupt noch zeitgemäß oder gibt es inzwischen praktischere Lösungen? Da tauchen Fragen zu Gegenständen auf, die wir uns vorher noch nie gestellt haben. 

Wir sehen unser Zuhause plötzlich mit ganz anderen Augen, und Dinge, die die Aufnahme ins neue Domizil „bestehen“ wollen, müssen dafür richtig gute Gründe haben.

Geschirr, Wäsche, Werkzeug, Küchenutensilien, Teppiche, Bilder, Lampen, Elektrogeräte, Kleider, Hüte, Koffer, Taschen, Bücher und CDs, alles kommt auf den Prüfstand und wird nach neuen Kriterien bewertet. Und spätestens da zeigt sich mal wieder, dass Männer und Frauen völlig unterschiedlich ticken.

Das geht schon bei der Planung los.

Während mein Liebster mit einem neuen PC Programm akribisch genau den neuen Grundriss dreidimensional darstellen will, virtuelle Mauern baut, einreißt, neu baut, flucht und schimpft und zum x. Mal wieder von vorne anfängt, kümmere ich mich bereits um die freistehende Badewanne, frage mich, ob wohl ein kleiner Strandkorb auf den Balkon passt und welche Fronten die neue Küche haben sollte.

Ich hänge im Geiste Gardinen auf, dekoriere die Wände und weiß eigentlich schon genau, wo und wie das neue Bett stehen muss…

Während mein Schatz nicht ohne die diversen Fitnessgeräte umziehen will, kann ich nicht ohne meinen alten Sekretär, die Standuhr und vor allem den Schuhschrank sein. Er braucht sein Arbeitszimmer, ich suche einen Platz fürs Bügelbrett, er trennt sich leicht von allen Gartengeräten (wen wunderts), und ich könnte ohne Probleme auf die alten Autoreifen, den Schraubstock und die Pelzmäntel meiner Schwiegermutter verzichten.

Nach außen hin, also all denen gegenüber, die ungläubig staunen, was wir da vorhaben, geben wir uns natürlich völlig abgeklärt. Man kann ja mit so wenig glücklich sein, Besitz belastet nur, und wer Ballast abwirft, hüpft förmlich leicht und beschwingt durch seine alten Tage… so lautet unser Mantra. Die wirklich elementaren Diskussionen über „kann mit, muss weg“ führen wir dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit und hoffen, dass auch der Hund verschwiegen ist. Der will schließlich mit und hofft auf einen schönen Logenplatz am Fenster. Apropo Hund: die angestrebte Wohnung liegt im dritten Stock. Da sind die Pfoten sauber und das Fell ist trocken bis man oben angekommen ist – vorausgesetzt, man nimmt die Treppe und nicht den Fahrstuhl. Aber das ist ja wohl keine Frage, wenigstens noch nicht.

Ein paar minimale Kleinigkeiten haben wir allerdings trotz aller Reduzierung noch nicht geklärt. Wo soll die Firma mit Schreibtisch, Akten und PC fortan ihren Sitz haben, wohin kommen die großen Fitnessgeräte und die Gymnastikmatten, und wo könnten wir Besucher unterbringen?  Angesichts der Mengen an aussortierten Blumenvasen, gespendeten Teelichtern, ausrangierten Tupperdosen und anderen zu verschenkenden Kleinteilen sollte das aber kein großes Problem werden. Wir haben ja noch zwei Jahre Zeit, und bis dahin fällt uns bestimmt eine ganz originelle Lösung ein.

Es wäre nicht das erste Mal, dass wir uns selbst überraschen…