„MS Corona“

April 2, 2020 0 Von Stahlhuth

Meine neuen Sling-Pumps sind angekommen. Sie sehen toll aus, atemberaubend hoch und sehr sexy.

Neben dem schwarzen Paar mit den gekreuzten Riemchen und den maisgelben in Velourleder mit Lackabsatz passen sie genau in die Reihe der waffenschein- erforderlichen Modelle, die man nur zu bestimmten Anlässen tragen kann.

Zu allen Paaren habe ich natürlich das entsprechende Outfit, manchmal auch zwei und selbstverständlich die passende Handtasche. So gesehen bin ich perfekt vorbereitet für unsere nächste Kreuzfahrt.

Problem ist nur, genau diese Kreuzfahrt wird es nicht geben! Corona kam dazwischen und hat dafür gesorgt, dass wir, anstatt elegant übers Schiff zu flanieren, nun ziemlich leger zu Hause die empfohlene Isolation absitzen. Zu schade aber auch und irgendwie höchst unbefriedigend!

Die schönen Schuhe können ja nun weiß Gott nichts dafür. Und jetzt sollen sie einfach so für ungewisse Zeit in der „Schuhschrankquarantäne“ verschwinden? Das kann ich unmöglich zulassen.

Während ich also wehmütig die anderen Reiseutensilien wie Kulturbeutel, Sonnenbrille, Fernglas, Reiseführer, Photoapparat und E-Book wieder an ihren Aufbewahrungsort zurück packe, kommt mir eine Idee:

Warum eigentlich holen wir uns die stornierte Kreuzfahrt nicht einfach ins Haus und modifizieren sie nach den momentanen Gegebenheiten? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir der Gedanke.

Andere machen „home-office“ wir  machen eben „home-ahoi“!

Schnell werden so das Schlafzimmer, Bad und Ankleidezimmer zur Penthousesuite, die Terrasse zum Sonnendeck, die Sitzecke im Wohnzimmer zur Bibliothek, das Esszimmer zum Gourmetrestaurant und die Küche zur rustikalen Alternative.

Natürlich haben wir auch eine ausgedehnte SPA Abteilung mit Wannenbad, Massagedusche und Ruhezone. Gleich daneben befindet sich der großzügige Fitnessbereich mit verschiedenen Geräten. Wenn es gewünscht wird, stellt dort eine professionelle Fitnesstrainerin für jeden den ganz individuellen Trainingsplan zusammen.

Ebenfalls verfügen wir über ein reichhaltiges kulturelles Angebot an Musik, Literatur, Spielfilmen usw.

Das fehlende Wasser unterm Kiel vernachlässigen wir großzügig. Erstens erspart es uns die Seenotrettungsübung, und zweitens ist zu starker Seegang sowieso lästig und schlägt schnell auf den Magen.

Wir beginnen also den Tag in unserer Suite ausgeruht und entspannt. Noch im flauschigen Bademantel begeben wir uns ins Fitnessloft, wo wir ungestört von anderen unser Programm durchziehen. Crosstrainer, Rudergerät, Hantelübungen und Yoga auf der Matte. Man muss sich schon ein bisschen auspowern, denn schließlich wartet danach das exquisite Spätaufsteherfühstück auf uns.

Die Küche lässt da kaum Wünsche offen: frisch gepresster Saft, Joghurt, Müsli, Obst, Eierspeisen, duftende Brötchen, Wurst, Käse und Gebäck. Und ganz selbstverständlich liegen hier auch jeden Morgen die aktuellen Tageszeitungen aus. So kann man in den Tag starten!

Je nach Reiseverlauf werden nun unterschiedliche Programme angeboten. Heute z. B. gibt es um 11 Uhr einen „Landgang“ durch das ziemlich menschenleere Celle. Man kann dort ungehindert die Fachwerkfassaden bewundern, hat fast beängstigend viel Platz im Parkhaus und interessante Photostopps sind auch an sonst überlaufenen Punkten möglich. Besonders lohnend sind hier die geschlossenen Geschäfte, die fast menschenleeren Gassen und die von Toilettenpapier geleerten Regale. So etwas sieht man nicht alle Tage.

Für den Nachmittag ist dann ein Vortrag angekündigt über die länderübergreifende aktuelle Entwicklung des Coronavirus. Eine life- Schaltug zum Robert-Koch-Institut ist vorgesehen.

Wer das nicht mehr hören kann, ist eingeladen, auf dem Sonnendeck im Strandkorb zu relaxen. Bei schlechtem Wetter bieten die Bibliothek oder das hauseigene PC-Kino eine umfangreiche Auswahl an Unterhaltung und Abwechslung.

Am frühen Abend sollte man sich dann Gedanken machen, in welchem der verschiedenen Restaurants man den Tag ausklingen lassen möchte. Eng verbunden mit dieser Entscheidung ist auch die Kleiderfrage, womit wir wieder bei den High-heels wären.

Folgende Alternativen stehen zur Auswahl: „la cucina“ ( unsere Küche), das bodenständige Restaurant mit einfachen, regionalen Gerichten, pfiffig und delikat zubereitet. Hier trifft man sich in ungezwungener Atmosphäre. Kleidungsempfehlung: casual.

Gleich nebenan ( in unserem Esszimmer), das jetzt „Menu –ett“ heißt, erwartet einen gehobene Gastronomie in eleganter Umgebung. Kleidungsempfehlung hier: festlich elegant. Da sind die Pumps auf jeden Fall angesagt, und ein bisschen Glitzer an den Extremitäten kann auch nicht verkehrt sein.

Den Aperitif gibt es vorher im „anno dazumal“, dem kleinen Kabinett zwischen Großmutters alten Möbeln.

Das ist dann auch eine gute Gelegenheit, sich schon mal über das Programm der nächsten Tage Gedanken zu machen. Bei der Vielzahl an Möglichkeiten muss man schon eine Auswahl treffen.

Im Fitnesss–Loft gibt es einen work-shop über „gelenkig bleiben in der Krise“, der nächste Landgang führt durch Flora und Fauna von Westercelle oder alternativ wird eine Besichtigung des hauseigenen Weinkellers angeboten. Wirtschaftlich und ökonomisch Interessierten bietet der anwesende Finanzexperte einen Vortrag  über „die neuesten Entwicklungen an der Börse und was wir daraus lernen können“, selbstverständlich gerne mit anschließender Diskussion.

Ja, und last but not least, darf auf keiner Reise der große Gala Abend fehlen. Denn dann erstrahlt das Haus in ganz besonderem Glanz.

An diesem Abend speisen wir bei leiser Musik und Kerzenschein im „Menu-ett“ und genießen neben den edelsten Tropfen auch ein sensationelles Mehrgangmenue. Keine Frage , dass zu diesem Anlass die „große Garderobe“ gefragt ist.

So gesehen sind die Unterschiede zur richtigen Kreuzfahrt gar nicht mehr sooo immens. Man muss dafür eben ein bisschen großzügiger denken.

Bei „home-ahoi“ sind wir unsere eigenen Gäste und gleichzeitig für den reibungslosen Service verantwortlich. Man kennst sich ja und die eigenen Ansprüche. Das erleichtert vieles.

…in der Küche duftet es herrlich und verlockend, der Tisch im Esszimmer ist aufwändig gedeckt, mein Liebster wartet bereits mit dem Aperitif in Omas altem Kabinett…

Schnell lege ich noch etwas Lippenstift auf, schlüpfe in meine maisgelben High –Heels, die ich für den heutigen Abend ausgesucht habe und schwebe in einer Wolke von Parfum einem unvergesslichen Abend entgegen.

Käptn‘s Dinner in so intimer Atmosphäre, das gibt es eben nur zu Hause!

„home –ahoi!“