Urlaubslektüre
Nachdem wir nun schon zum wieder- und wiederholten Male in den gleichen Urlaubsort fahren, haben meine Freunde immer mehr das Gefühl, mir wenigstens mit der einen oder anderen empfohlenen Urlaubslektüre eine gewisse Abwechslung verschaffen zu wollen.
Wenn mir schon die Umgebung keine neuen Eindrücke vermittelt, dann soll wenigstens ein ausgesuchter „guter“ Lesestoff meinen Horizont erweitern, so denken sie. Daß, auch und gerade da, die Geschmäcker sehr unterschiedlich sind, muss man nicht betonen.
Während die einen hoffen, mir in der Ruhe und Abgeschiedenheit der Kärntner Seenlandschaft den Zugang zu allerlei hochintelektueller Literatur zu ermöglichen, versuchen mich die anderen von der immer gleichen Umgebung mit unterhaltsamer Belletristik abzulenken.
Ich reise also in der Regel mit einer sehr bunten Mischung an Lesestoff an. Da ist viel Licht und auch viel Schatten, leicht und schwer Verdauliches und auch so manches, was man seinen Augen einfach nicht zumuten möchte, wogegen anderes wirklich gut sein kann.
Exemplare von namhaften Autoren mit bekanntem Titel, möglichst noch von der aktuellen Bestsellerliste, lasse ich dann schon mal gut sichtbar auf meiner Sonnenliege zurück, wogegen ich den neuesten Liebesroman aus dem Bastei-Lübbe Verlag vielleicht doch eher unter dem Strandlaken verschwinden lasse.
Aber natürlich gibt es auch Bücher, die sind so spannend, fesselnd und mitreißend, daß man beim Lesen total vergißt sich einzucremen, nicht hört, wenn der Liebste zärtlich etwas säuselt und schon gar nicht merkt, daß das Badeanzugsoberteil hoffnungslos verrutscht ist und man halbnackt in ungesund verrenkter Haltung mit Buch vor der Nase auf der Liege hängt. Später wundert man sich dann über eingeschlafene Gliedmaßen, einen dicken Sonnenbrand, den leicht frustrierten Ehemann und einige interessierte Zuschauer auf den umliegenden Sonnenliegen. Von einem „Buch mit Risiko und Nebenwirkungen“ könnte man da sprechen!
Dieses Jahr nun bekam ich von einer Bekannten eine Buchempfehlung, die mich schon im Vorfeld neugierig machte. Besagte Dame ist von ihrem Typ her grundsolide, anständig, und rechtschaffen. Wer sie nicht näher kennt würde sie vielleicht sogar
(fälschlicherweise) für etwas bieder und brav halten. Das sollte einen allerdings nicht dazu verleiten auf ihren literarischen Geschmack zu schließen, man weiß es ja: stille Wasser…
Ein bißchen vorgewarnt war ich also schon, dennoch bestellte ich relativ ahnungslos das besagte und von ihr empfohlene Buch.
Der örtliche Buchhändler, bei dem ich das Werk einige Tage später abholte, zog vielsagend die Augenbraue hoch, verkniff sich aber eine Bemerkung… Ich war ein bißchen irritiert und noch mehr gespannt.
Zusammen mit mindestens drei anderen Büchern der aktuellen Bestsellerlisten wanderte auch dieses Exemplar in unser diesjähriges Reisegepäck.
Ich bin ein organisierter Mensch, der nicht umsonst im Zeichen der Jungfrau das Licht der Welt erblickte, und so lese ich meine Urlaubsbücher in einer gewissen genau geregelten Reihenfolge. Das Anspruchvollste zuerst, das Vielversprechenste zuletzt, dazwischen alles andere.
Zu Beginn des Urlaubs schlage ich mich also mit einer interessanten aber recht anstrengenden Biographie herum. Das Teil lag zu Anschauungszwecken mehr auf meiner Sonnenliege als ich selbst und machte sich dort im Zweifelsfall auch noch besser als ich. Dann kommt ein hübscher kleiner Roman aus dem Französischen übersetzt und von allen möglichen Kritikern hoch gelobt, aber irgendwie sterbenslangweilig. Vergeblich frage ich mich, was mir die Geschichte eigentlich sagen will. Nur gut, dass das Teil nur 189 Seiten hatte… Es war schon ein bißchen Arbeit – und das im Urlaub!
Darauf folgt „Frauenliteratur“ pur. Der Klappentext verspricht Einblicke in das Leben einer Frau jenseits der Fünfzig – authentisch und ungeschminkt. Hmmm, beim Lesen schwanke ich zwischen Staunen und Ungläubigkeit und frage mich so manches Mal, ob das, was da geschrieben steht, einer einzigen Person widerfaheren kann.
Untreuer Ehemann, pubertierende Kinder, lesbische Freundin, tablettenabhängige Schwester, übergriffiger Chef, demente Schwiegereltern, hochallergischer Hund und das alles vor dem Hintergrund einer schweren Erkrankung, welche die Protagonistin natürlich dramatisch aber tapfer von der ersten bis zur letzten Seite in den Griff bekommt. Wer so taff ist, kann nicht normal sein, und wer das liest und glaubt, muss ein sehr gutes Selbstbewußtsein haben, um nicht an seiner eigenen Unzulänglichkeit zu verzweifeln.
Buch mit zweifelhafter Zielgruppe.
Aber dann gibts da ja zum Glück noch die letzte Empfehlung.
Ein unauffälliger Titel: „Puppenmord“, klingt wie ein Krimi, und so ein bißchen ist es ja auch einer, aber…
Schon nach den ersten Seiten verstehe ich die hochgezogene Augenbraue des Buchhändlers.
Sehr speziell und ziemlich schräg, was mir da so unter die erstaunten Augen kommt. Während ich also brav und mit unschuldiger Miene auf meiner Liege sitze, lese ich mich mit immer größerem Vergnügen durch die skurilen Schamlosigkeiten dieses Buches. Wenn alle um mich herum nur ahnten, was sich da vor meinen Gleitsichtgläsern auftut… Oh mein Gott, die Wiese wäre schon mittags in eine schamvolle Abendröte getaucht.
Ein bißchen etwas bleibt ja von jedem Buch hängen, und so versuche ich in den folgenden Tagen die neu erlernten Ausdrücke und Kosenamen an meinen Mann zu bringen. Der reagiert ein bißchen irritiert, ob der frischen frivolen Brise, die ihn plötzlich umweht, aber wer weiß, vielleicht gefällts ihm ja sogar?
Ein Buch mit temporärer Nachhaltigkeit??? Das wäre nicht das Schlechteste!