Happy hour

Oktober 18, 2015 0 Von Stahlhuth

„ Ich habe jetzt das Alter erreicht, in dem ‚Happy hour’ Nickerchen bedeutet.“
Diesen schönen Satz habe ich neulich auf einer Postkarte gelesen, und er gefiel mir so gut, dass ich diese Karte spontan gekauft habe. Seitdem hängt das gute Stück gut sichtbar bei uns im Flur und immer, wenn ich auf dem Wege bin, noch dies und jenes zu erledigen, oder verzweifelt das Ende meiner täglichen „to do Liste“ suche, komme ich daran vorbei und werde erinnert, dass es eigentlich mal Zeit für meine persönliche „Happy hour“ wäre.
Dabei muss „Happy hour“ ja nicht zwingend ein Nickerchen sein, obwohl ich das durchaus zu schätzen weiß, gerade nachdem ich mit zunehmendem Alter so manche „unhappy hour“ in den frühen Morgenstunden erlebe. Das ist bei mir nämlich meistens die Zeit zwischen 4 Uhr und 6 Uhr in der Früh, in der ich grundlos wachliege und versuche alle Probleme des Lebens zu lösen, während gleichzeitig das ganze Leid der Welt auf mich einstürzt. An Schlaf ist da natürlich nicht zu denken, und allein das Wort ‚Nickerchen‘ mutet in diesem Zusammenhang schon reichlich luxuriös an. Mein lieber Mann, in seiner unverwechselbar empathischen Art, hielt mir neulich einen Zeitungsausschnitt unter die Nase, in dem motivierte Frühaufsteher gesucht wurden, die zwischen 4 und 6 Uhr die örtliche Tageszeitung zustellen. Er meinte, das wäre doch eine sinnvolle Überbrückung dieser unglücklichen Zeit, und danach könne ich ja bestimmt um so leichter wieder in den Schlaf finden. (Problemlösung nach Männerart: pragmatisch, zielorientiert und gewinnbringend dazu!)
Ich weiß nicht, ob ich die Idee so überzeugend finde, aber ich werde darüber nachdenken – bei meiner nächsten „Happy hour“ – versprochen!
Aber wie schon gesagt, „Happy hour“ muss ja nicht zwingend ein Nickerchen sein. Es geht ja letztlich um eine glückliche oder eine besondere Stunde am Tag, und das kann unter Umständen sehr viel mehr bedeuten.
Man kennt den Begriff der „Happy hour“ eigentlich aus Bars oder Restaurants, in denen es am späten Nachmittag bestimmte Cocktails zum ermäßigten Preis gibt.
Auch bei mir wechselt das Angebot ständig, will sagen, meine „Happy hour“ kann jeden Tag eine andere sein. Das ist ja gerade das Schöne daran. Mal ist es das besagte Nickerchen, am nächsten Tag ist es der Genuss einer schönen Tasse Kaffee, mal ist es eine kleine Auszeit in meinem Lieblingssessel mit einem schönen Buch, oder wenn ich nach einem anstrengenden Tag im Garten in ein entspannendes Vollbad steigen kann. Happy hour kann auch sein, wenn meine Freundin anruft und wir eine halbe Stunde gemütlich telefonieren , eine Runde walken am Sonntagmorgen, oder wenn ich beim Sonnenuntergang mit meinem Schatz auf der Terrasse ein Glas Wein trinke. Manchmal ist Happy hour für mich einen Apfelkuchen zu backen, der duftet wie früher bei meiner Mutter oder einen Brief zu schreiben, ein altes Fotoalbum durchzublättern und ein bisschen zu träumen, einen rührseligen Film zu sehen, durch meinen Garten zu gehen und einen bunten Strauß Blumen zusammenzustellen oder in meinem Strandkorb zu sitzen und dem Eichhörnchen zuzusehen, wie es munter von Baum zu Baum hüpft. Es gibt so viele Möglichkeiten und Zeiten für eine „Happy hour“ am Tag, man muss sie nur bewußt wahrnehmen. Wenn ich das tägliche Einerlei unterbreche und mir eine „glückliche Stunde“ gönne, dann beschenke ich mich für den ganzen Tag, und heute zum Beispiel bestand meine „Happy hour“ darin, mir diesen Text zu überlegen…