Ein Herz für Waisen

April 6, 2015 0 Von Stahlhuth

 

Zugegeben, ich habe eine ausgeprägte Schwäche für Schuhe, und es ist auch hinreichend bekannt, dass ich nicht besonders viel dagegen unternehme.
Ich besitze z. Zt. ca. 50 Paar – Tendenz steigend, und zu jedem Paar habe ich eine ganz eigene Beziehung.
Im Gegensatz zu anderen Luxusartikeln wie Möbel, Geschirr oder Schmuck bin ich bei Schuhen weniger festgelegt, was Farbe, Form oder Material angeht.
Schuhe müssen mich anziehen, mir gefallen, oder anders ausgedrückt: wir müssen zueinander passen.
Ein Schuh, mag er noch so schick sein, von dem ich mich aber nicht angesprochen fühle, wird nie den Weg zu meinem Herzen, geschweige denn zu meinem Fuß finden. Der Preis spielt dabei eine ebenso untergeordnete Rolle, wie die Frage, wozu trage ich dieses Exemplar.
So habe ich z. B. in meinem Schrank ein Paar rattenscharfe High-heels stehen, in die ich mich spontan verliebt habe, als ich sie einsam, gebrandmarkt mit dem Etikett ’Restpaar’ in der hinteren Ecke eines Schuhgeschäfts stehen sah. Offensichtlich von den Kunden verschmäht und von den Verkäuferinnen vergessen, fristeten sie dort ihr Dasein, bis ich kam und sie erlöste.
Klar, weder Farbe noch Form passen so richtig zu irgendetwas, und deshalb stehen sie auch ungetragen bis heute in meinem Schrank. Aber die Bindung ist eben da, dieses unsichtbare Band zwischen Schuh und Trägerin.
Bei einem anderen Paar war es „Liebe auf den ersten Blick“, das uns zusammenführte. Ich sah sie im Regal stehen und wusste sofort: Die sinds! Kein Modell wird je meine Füße ähnlich umschmeicheln, und nichts anderes kann meine Persönlichkeit besser unterstreichen als dieses Paar. Wir waren uns einig, noch bevor wir einander probiert hatten.
Es gibt allerdings auch Exemplare in meiner Sammlung, die mir aus einem temporären seelischen Tief geholfen haben. Sie traten genau dann in mein Leben, als ich etwas brauchte, dem ich meine Aufmerksamkeit und Liebe schenken konnte. Gerne ließen sie sich pflegen, anziehen, ausführen, und man kann sagen, geradezu dankbar trugen sie mich ein Stück durchs Leben.
Und so passiert es mir immer häufiger, wenn ich in einem Schuhgeschäft durch die Regale streife, all die vielen Schuhe sehe, die mich anschauen und fast zärtlich bitten sie doch zu kaufen, dass ich mich an ein Waisenhaus erinnert fühle.
Einsame Schuhe stehen da in den Regalen und sehnen sich nach Wärme, nach Anerkennung und nach einem Paar Füßen, zu dem sie gehören. Sie wollen raus aus der Masse, ausbrechen aus der Anonymität, und mit meiner Hilfe kann ihnen das gelingen. Muss man da nicht weich werden?
Als ich letzte Woche nach Hause kam und mein Mann mit Blick auf den Schuhkarton (immerhin der dritte in diesem Monat) nur fragend die Augenbraue hob, da sagte ich ihm ohne Umschweife:“ Die Schuhe haben Mama zu mir gesagt – was sollte ich da tun?“