Der Enkelhund
Meine Angst vor Hunden ist geradezu legendär, und sie reicht eigentlich soweit zurück wie meine ersten Erinnerungen überhaupt. Man kann also sagen, es fing alles mit der Angst vor dem Hund an. Dabei ist es überhaupt nicht so, dass ich prinzipiell etwas gegen Hunde im allgemeinen oder besonderen hätte, sie unsympathisch fände, abstoßend, widerlich, böse, grausam oder stinkig. Nein, das kann man nicht sagen. Mal abgesehen von einigen Ausnahmen versteht sich, aber das ist ja wie bei den lieben Mitmenschen, da findet man auch nicht jeden Zeitgenossen toll. Also wie gesagt , im Grunde habe ich nichts gegen diese Tiere, aber ich habe Angst vor ihnen, und das ist das Problem.
Im Übrigen ist es dabei auch völlig egal, um welche Rasse es sich handelt, ob der Hund groß, klein, dick oder dünn ist, einen Stammbaum hat oder aus dem Tierheim kommt, ob er Rex oder Mausi heißt, Pfötchen gibt, die Zähne fletscht, eine rosa Haarspange im Fell trägt oder einen Maulkorb, im Zwinger lebt, an der Kette zerrt oder frei herum läuft. Meine Angst ist da tolerant und macht keinerlei Unterschiede. Alle werden gleich behandelt, unabhänging von Aussehen und Herkunft. Im Klartext heißt das, sie werden wenn irgend möglich gemieden oder weiträumigst umgangen. Ich möchte nicht wissen, wieviele Kilometer Umwege ich in meinem Leben schon gelaufen bin, nur um einem Hund auszuweichen. Und wieviele bange Stunden ich irgendwo gewartet habe, weil mir so ein Vierfüßler den Weg versperrt hat. Einmal waren wir zu einem festlichen Abendessen eingeladen, und ich traute mich den ganzen Abend nicht zur Toilette zu gehen, weil es sich der Hund des Hauses genau vor dem Gäste-WC bequem gemacht hatte. Ich habe mir fast in die Hose gemacht und die harte Stuhlkante, auf der ich den ganzen Abend herumgerutscht bin, weit mehr geschätzt als alle Köstlichkeiten auf meinem Teller.
Ein anderes Mal mußte ich notgedrungen mit einem Hund in einem Zimmer übernachten. Da bin ich ganz und gar in meinen Schlafsack gekrochen, habe ihn oben ganz fest zugebunden und war am nächsten Morgen fast erstickt. Der Hund im Zimmer hat das wahrscheinlich gespürt und wollte mich wohl retten, indem er mich immer wieder angestupst hat, was die Sache nicht wirklich besser gemacht hat. Seitdem gilt: nie wieder allein mit einem Hund in einem Zimmer!!!!
Schlimm sind auch Situationen mit einem Hund im Fahrstuhl oder im Auto. Ich erinnere eine schreckliche Autofahrt mit einem Köter neben mir auf dem Rücksitz, der sehr zudringlich wurde. Da können auch 50 km zu einer Rallye Paris-Dakar werden, und man hofft inständig auf eine Reifenpanne oder ein Leck im Tank.
Einladungen, bei denen der Gastgeberhund angeblich ganz friedlich unter dem Eßtisch liegt, sind besonders schrecklich. Entweder das Tier liegt genau auf meinen Füßen, und ich traue mich nicht auch nur einen Zeh zu bewegen, aus Angst, er könnte zuschnappen, oder das Vieh schleicht die ganze Zeit umher und kann sich nicht entscheiden, welche Füße es beschnup-pern oder besabbern will. In jedem Fall bin ich bei solchen Gelegenheiten grundsätzlich vom großen Zeh her aufwärts ein einziger Krampf.
Sehr speziell sind ja auch die Hundehalter an sich, und die allerwenigsten von denen, die ich kennenlernen musste, verstanden mich und meine Not. Natürlich lieben sie ihre kleinen oder großen Vierbeiner und trauen ihnen im Leben nichts Böses zu, und noch bevor man auch nur die Andeutung einer gewissen Zurückhaltung gegenüber dem Tier erkennen läßt, heißt es schon: „Vor dem brauchen sie keine Angst zu haben, der tut nichts!“ Wie ich diesen Ausspruch hasse! Welcher Hundehalter kann schon wissen, ob nicht gerade ich das Appetithäppchen für seinen Vierbeiner bin, oder vielleicht der Frustknochen, weil er sich mal wieder über sein inkompetentes dämliches Herrchen geärgert hat. Vielleicht möchte das Mondkalb ja auch nur mit mir spielen und mir dabei das Gesicht ablecken, oder Zeckenjule will mit mir schmusen, während sie mir auf den Schoß springt, und Läuseleo findet es spannend meine Schuhe zu verstecken oder am Riemen meiner neuen Handtasche zu knabbern – aber ich möchte das verdammt nochmal nicht, auch wenn Herrchen oder Frauchen das ganz süß finden.
Es gibt also zahlreiche Gründe, weshalb das Thema Hund bei uns in der Familie nie ein Thema war, und ehrlich gesagt, habe ich bisher nichts vermisst.
Wir haben versucht nach bestem Wissen und Gewissen unseren Kindern eine vernünftige Kindheit und Jugendzeit zu bieten und mit drei Meerschweinchen die Haustierquote wenigstens halbwegs erfüllt.
Doch nun, kaum sind die Kinder aus dem Haus, schlägt das Schicksal zu.
Da telefoniere ich neulich mit meinem Sohn, nein, ich skype mit ihm im fernen Spanien, wo er, wie ich annehme, unermütlich seinen Studien nachgeht. Wir plaudern so über dies und jenes, über das Wetter, das Studium, seine neuesten Projekte und Aufgaben, die letzten Unternehmungen, die Freundin usw., und alles ist schön und in bester Ordnung. Mein Mutterherz ist zufrieden; das will man hören. Wir sind fast am Ende des Gesprächs, als er plötzlich meint, da wäre nur noch eine Kleinigkeit, die ich vielleicht wissen sollte.
– Pause –
Seine persönliche Situation hätte sich etwas verändert….
Mir wird heiß und kalt, und ich bin augenblicklich alamiert. Was kann das sein?
Im Nu spulen sich alle Möglichkeiten vor meinem geistigen Auge ab, meine Phantasie ist gnadenlos und hat dabei leider selten Platz für positive Möglichkeiten.
Den baskischen Seperatisten beigetreten? Spielschulden gemacht? Wohnung gekündigt?Studium geschmissen? Freundin schwanger? Pause – Bildstörung – aufsteigende Panik.
Und dann ein rotbraunes zappelndes Wollknäul. Ich traue meinen Augen oder auch dem Bildschirm nicht. Ein Hund? Ist das etwa ein Hund? Mein Sohn hat sich einen Hund gekauft. Das kann nicht wahr sein!
Voller Stolz verkündet er mir, darf ich vorstellen, das ist Fox, euer „Enkelhund“. Na bravo, das hab ich mir immer schon gewünscht!
Nun muss ich zugeben, dass das Tierchen wirklich ganz süß und knuffig ist, aber wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich ja auch Tiger, Haie und Kobras auf dem Bildschirm ganz possierlich. In Natur eher weniger.
Das Problem liegt nun darin, dass ich in absehbarer Zeit meinen Sohn besuchen werde und dann Aug in Aug, oder besser, Wade an Schnauze diesem „Enkelhund“ gegenübertreten muss. Das ist eine Herausforderung.
Damit der erste Kontakt möglichst halbwegs passabel ausfällt, versuche ich bei mir schon mal ein besseres „Hundekarma“ aufzubauen, was bei meiner Vorgeschichte natürlich alles andere als einfach ist. Ich schaue also ab jetzt sehr bemüht jeden Köter auf der Straße möglichst liebevoll an.
Sende positive Gedanken auf die andere Staßenseite, frei nach dem Motto, ich weiß, du tust mir nichts, weil ich ja nun einen „Enkelhund“ habe und irgendwie, wenn auch unfreiwillig zu eurer großen „Community“ gehöre. Wenn ich gut bin, sage ich inzwischen auch schon mal dem einen oder anderen Herrchen oder Frauchen, was für einen schönen Hund sie haben, und wenn ich sehr gut bin, frage ich sie sogar nach der Rasse.
Neulich fand ich mich in einem Geschäft vor einem Regal mit Hundezubehör wieder, wo ich interessiert alle möglichen Spielsachen, Leinen, Leckerlies und Fressnäpfe angeschaut habe. Schließlich muss man sich ja schon mal Gedanken machen, was man dem Kleinen so mitbringt, wenn man dann zu Besuch kommt. Kleine Geschenke fördern die Freundschaft, gilt sicher auch bei Hunden…
Ein paar aktuelle Bilder von dem süßen Racker hab ich natürlich inzwischen immer auf meinem Handy parat, und wenn wir uns das nächste Mal bei Helga zum Kaffekränzchen treffen und alle die neuesten Photos von ihren Enkelkindern rumzeigen, dann hab ich was ganz besonderes zu bieten: Die neuesten Bilder von meinem „Enkelhund“. Das ist doch mal was anderes…